DDR-Recht statt Atomgesetz

Die Uranbergbaugebiete werden auf Grundlage einer 30 Jahre alten Verordnung saniert

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Bundesregierung definiert kontaminierten Schrott per DDR-Gesetz um. Auf diese Weise kommen strengere Verordnungen oder Gesetze nicht zur Anwendung.

»Die vermutlich größte Umweltkatastrophe westlich von Tschernobyl« nannte der »Spiegel« die Hinterlassenschaft des Uranbergbaus in Sachsen und Thüringen. Auf der Suche nach Uran für Atombomben und Atomkraftwerke grub die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut in der DDR nach dem Zweiten Weltkrieg ganze Landstriche um. Tausende Kumpel starben an Lungenkrebs, viele Angehörige kämpfen bis heute um die Anerkennung der Karzinome als Berufskrankheit.

Zum sichtbaren Wismut-Erbe gehörten unter anderem fast 50 Halden mit mehr als 300 Millionen schwach radioaktivem Gestein, vier große industrielle Absetzanlagen mit über 160 Millionen Kubikmeter radioaktiv belastetem Schlamm sowie der ehemalige Uranerztagebau Lichtenberg nahe der thüringischen Stadt Ronneburg - auch »Töpferblick« genannt, seit der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer entsetzt in diese riesige Grube schaute. Seit 1991 werden die Uranbergbaugebiete von der bundeseigenen Wismut GmbH saniert - und zwar weitgehend auf Grundlage alten DDR-Rechts, wie die Bundesregierung in einer bislang nicht veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der LINKEN einräumt. Die strengere Strahlenschutzverordnung oder gar das Atomgesetz kommen demnach nicht zur Anwendung.

»Für die Sanierungstätigkeit der Wismut GmbH sind (…) insbesondere die Vorschriften des Strahlenschutzrechtes in Form von übergeleitetem DDR-Recht maßgeblich«, bescheidet das Bundeswirtschaftsministerium die Anfrage der Linksfraktion. Es handele sich bei den betreffenden radioaktiven Stoffen deshalb auch »nicht um radioaktive Abfälle im Sinne des Atomgesetzes«. »Freigrenzen und Freigabewerte der Strahlenschutzverordnung sind nicht anzuwenden«, heißt es in der Antwort weiter.

Im Klartext: Weil das Atomgesetz nicht angewendet wird, kann es sich bei den radioaktiven Stoffen auch nicht um Abfälle handeln, wie sie das Atomgesetz definiert. Oder umgekehrt. Stattdessen gilt - immerhin 23 Jahre nach der deutsch-deutschen Vereinigung - für die Beseitigung der Wismut-Altlasten explizit die »Verordnung über die Gewährleistung von Atomsicherheit und Strahlenschutz« der DDR vom 11. Oktober 1984 weiter. »Das so etablierte Regelungsregime geht den allgemeineren Vorschriften des Atomgesetzes und der Strahlenschutzverordnung vor, die nicht anwendbar sind«, bekräftigt das Bundeswirtschaftsministerium.

Indem die Bundesregierung den kontaminierten Schrott per DDR-Gesetz umdefiniert, entfällt auch die Verpflichtung, die Wismut-Abfälle perspektivisch in ein Endlager zu bringen. Wohin denn auch? Die einzig in Frage kommende Lagerstätte Schacht Konrad bei Salzgitter ist grade einmal für 303 000 Kubikmeter schwach und mittelradioaktiven Müll genehmigt.

Stattdessen, so die Bundesregierung, würden die radioaktiven Stoffe »auf der Grundlage von Genehmigungen der in Sachsen und Thüringen zuständigen Behörden in Halden, Absetzbecken beziehungsweise anderen bergbaulichen Objekten eingebaut und abschließend abgedeckt«.

Mit der Übernahme des DDR-Rechts entfällt zudem die Verpflichtung zur formellen Öffentlichkeitsbeteiligung vor der Erteilung von Genehmigungen. Für die Wismut GmbH eine enorme Entlastung, denn immerhin hat das Unternehmen in Sachsen und Thüringen bislang mehr als 8000 Genehmigungsverfahren geführt. Auch beim früheren Tagebau Lichtenberg, der laut Regierungsantwort »als einziges Objekt der Wismut GmbH zur Aufnahme mehrfach kontaminierter Materialien dient«, gab es lediglich ein abfallrechtliches Planfeststellungsverfahren. Das Atom- und Strahlenschutzrecht blieben auch hier offenbar außen vor.

Für die Sanierung der Tagebaue, Halden und Erzaufbereitungsanlagen hat die Bundesregierung insgesamt 7,1 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Mehr als sechs Milliarden davon wurden bislang ausgegeben.

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