Neues EU-Territorium im Indischen Ozean
Mayotte erhält am 1. Januar den Status eines »Gebiets in äußerster Randlage«
Mayotte ist ein tropisches Inselparadies am nördlichen Ausgang der Straße von Mosambik im Indischen Ozean. Geografisch zum Archipel der Komoren gehörig, haben die Mahoren, wie sich die Bewohner nennen, politisch einen anderen Weg eingeschlagen. Als Folge der französischen Kolonialisierungsbemühungen im Indischen Ozean wurde die Region nie unabhängig - dies allerdings freiwillig. Schon 1974 stimmten die Mahoren dafür, dass sich ihre Inseln - die Hauptinsel Grand Terre und einige kleinere Eilande - nicht den unabhängig werdenden Komoren anschließen, sondern bei Frankreich verbleiben. Und 2009 erklärten sich mehr als 95 Prozent der Bewohner dafür, dass Mayotte ein offizielles »Überseedepartement« Frankreichs wird. Der Euro ist also schon lange die offizielle Währung des Archipels.
Die jetzige Proklamation Mayottes zum EU-Gebiet unterstreicht vor allem aber die Unterschiede zur restlichen Union. Staatsoberhaupt der Inseln ist zwar Frankreichs Präsident François Hollande, doch mehr haben die Mahoren kaum mit ihren französischen Mitbürgern gemein. Laut britischer BBC beherrscht nur etwa die Hälfte der Bevölkerung die französische Sprache. Auf Mayotte liegt das jährliche Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner bei 6500 Euro, der EU-Durchschnitt ist sechsmal höher. Zudem bekennen sich 97 Prozent der Insulaner zum Islam. Für die Gesetzgebung dürfte dies eine Hürde darstellen, denn konnten die Bewohner bisher zwischen muslimischem und französischem Recht wählen, findet nun auch das EU-Recht Anwendung. Über Polygamie werden junge Mahoren vermutlich nur noch in Geschichtsbüchern lesen, Familienstreitigkeiten werden nicht mehr vor dem islamischen Richter ausgetragen und das Mindestheiratsalter wird auf 18 Jahre angehoben.
Ein bedeutender Teil der französischen Steuerzahler stellt sich die Frage nach dem Sinn der Außengrenzen im Indischen Ozean. Nationalisten sprechen von einer »Bürde«. Die Regierung argumentiert jedoch mit Fischerei- und Handelslizenzen für französische Unternehmen. Jüngst installierte Paris auch Militärstützpunkte auf der Insel.
Auf Mayotte selbst ist man gespaltener Meinung über die Beziehungen zum »Mutterland«. Die steigenden Lebenshaltungskosten und der französische Anteil am hier erwirtschafteten Gewinn führten 2011 zu Massenprotesten. Medienberichten zufolge kam nach dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen mindestens ein Demonstrant ums Leben.
Auf der anderen Seite wurde die Insel dank des Regierungssitzes in Paris zum entwicklungspolitischen Paradies: Seit 1987 flossen etwa 680 Millionen Euro an Fördergeldern nach Mayotte und 2007 erhielt die Insel 20,5 Millionen Euro für den Umweltschutz und Sanitärprojekte. »Eine Herausforderung für Mayotte wird darin bestehen, die Vorbereitungen voranzutreiben, um die neu verfügbaren EU-Gelder zu verwalten und richtig einzusetzen. Das wird entscheidend, um das Leben der Bewohner zu verbessern«, äußerte der EU-Kommissar für Regionalpolitik, Johannes Hahn.
In der südostafrikanischen Region sorgt das oft für Missstimmung. Zwar mag Mayotte nicht auf dem gleichen Niveau wie andere EU-Gebiete sein, doch im regionalen Vergleich verfügt es über bescheidenen Reichtum. Die Regierungen der umliegenden Staaten blicken mit einer Mischung aus Neid und Sorge auf die benachbarte EU-Exklave. Das gilt vor allem für die Behörden auf den Komoren. Auf deren Inselgruppe herrschen Armut und Unterentwicklung. Wer flüchten kann, tut es. »Seit Jahrzehnten benutzen Menschen kleine offene Boote, sogenannte ›kwassa-kwassa‹, um von den Komoren auf das wohlhabendere französische Territorium zu gelangen«, weiß Adrian Edwards, Sprecher des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR). Im vergangenen Jahr starben 69 Menschen bei der riskanten Überfahrt, seit der Unabhängigkeitserklärung der Komoren sollen es insgesamt 7000 gewesen sein.
Die Entscheidung Mayottes von 2009, französisches Überseedepartement zu werden, rief entsprechenden Zorn hervor. Der komorische Vizepräsident Idi Nadhoim nannte sie eine »Kriegserklärung«. Auch die Afrikanische Union (AU) beschuldigt Frankreich eines »Angriffs gegen alle Komoren«. Mehrmals hatte die AU versucht, Mayotte auf diplomatischem Weg den Komoren anzugliedern - ohne Erfolg.
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