Internetbranche ringt um Vertrauen

Überwachungsskandal könnte US-Branche viele Kunden und damit Einnahmen kosten

  • Andrej Sokolow
  • Lesedauer: 3 Min.
Die US-Internetbranche hat mit den Enthüllungen über die NSA-Überwachung ihre Unschuld verloren. Die Kunden zweifeln, europäische Datendienstleister wittern einen Wettbewerbsvorteil.

In der US-amerikanischen Internetbranche schlugen die Enthüllungen über die ausufernde Überwachung durch die NSA ein wie eine Bombe. Nein, man gewähre dem US-Geheimdienst keinen direkten Zugang zu den Servern, wiederholen Internetriesen wie Google, Apple, Facebook oder Microsoft gebetsmühlenartig seit dem vergangenen Sommer. Das Geschäft der Onlinegiganten lebt auch vom Vertrauen ihrer Kunden. Und das ist jetzt zumindest erschüttert.

Schlimmer noch, die Unternehmen mussten feststellen, dass die NSA ihnen wohl buchstäblich in den Rücken gefallen ist. Der allgegenwärtige Abhördienst soll sich in die Datenpipelines zwischen den Rechenzentren von Google, Yahoo und möglicherweise auch Microsoft eingeklinkt haben.

Und während die Vordertür der riesigen Serverfarmen wie ein Banktresor geschützt ist, waren die Daten der Kunden im sicher geglaubten Hinterhof unverschlüsselt unterwegs. Eine solche Überwachung wäre empörend und wohl auch illegal, tönte Googles Verwaltungsratschef Eric Schmidt - die bisher schärfste Kritik aus dem Silicon Valley an die Adresse der US-Regierung. Die Konzerne arbeiten nun unter Hochdruck daran, auch den internen Datenverkehr zu verschlüsseln.

Es bleibt allerdings die Frage, ob das reicht - oder ob das Vertrauen der Nutzer schon zu großen Schaden genommen hat. Bisher gibt es nur vereinzelte Hinweise darauf, dass die NSA-Enthüllungen dem Geschäft der Unternehmen schaden. So führte der Netzausrüster Cisco entgangene Aufträge in China jüngst auf die Überwachungssorgen zurück. Allerdings sind in dem Riesenland mit Huawei und ZTE auch zwei der schärfsten Konkurrenten für die US-Internetgiganten zu Hause.

Derweil gibt es immer neue Prognosen, wie groß die Einbußen für US-amerikanische Tech-Unternehmen am Ende werden könnten. Ende November 2013 schätzte eine Forschungsgruppe der Industrie, dass sich die entgangenen Umsätze bis zum Jahr 2016 auf 35 Milliarden Dollar (rund 25,6 Milliarden Euro) addieren könnten. Zuvor waren auch schon um 100 Milliarden Dollar höhere Schadenschätzungen im Umlauf.

Besonders bedroht sein könnten die bisher boomenden Cloud-Dienste, bei denen Daten und Software direkt aus dem Netz abgerufen werden können. Hier geben bisher US-Unternehmen wie Google, Amazon und Microsoft den Ton an. Der Branchenverein Cloud Security Alliance stellte jedoch kürzlich in einer Umfrage fest, dass jeder zehnte seiner Mitglieder außerhalb der USA Verträge mit US-amerikanischen Providern von Cloud-Diensten gekündigt habe. Über die Hälfte habe gesagt, dass sie derzeit mit geringerer Wahrscheinlichkeit zu einem US-Anbieter gehen würde.

Europäische Konkurrenten wittern nun ihre Chance. »Die momentane Debatte hilft SAP«, sagt der Co-Chef des Softwareriesen, Jim Hagemann Snabe. Man garantiere schließlich, dass die Daten dort verwaltet würden, wo der Kunde es wünsche. Die Walldorfer konkurrieren bei Cloud-Diensten unter anderem mit dem US-Erzrivalen Oracle und Anbietern wie Salesforce.com.

»Wir haben einen Wettbewerbsvorteil«, erklärt auch der Chef der Telekom-Dienstleistungstochter T-Systems, Reinhard Clemens. Viele Unternehmen - darunter auch Konkurrenten - fragten, ob T-Systems für sie Dienste in Deutschland nach deutschen Datenschutzregelungen betreiben könne. »Dank der NSA-Diskussion verstehen die Menschen, dass man viele Sachen einfach nicht zulassen darf«, so Clemens. Ob die »Cloud Made in Germany« das Zeug zum Exportschlager hat, versieht Clemens allerdings vorerst mit einem Fragezeichen.

Zugleich mahnt der Chef der finnischen Firma F-Secure, Christian Fredrikson, dass kaum jemand auf Dauer nur für den Standort Europa zahlen werde. »Wir müssen auch die beste Technologie liefern.«

Eine Umfrage belegte im Dezember, dass die europäischen Anbieter tatsächlich nicht auf einen Vertrauenskredit nur durch ihren Standort hoffen sollten. So finden knapp zwei Drittel der deutschen Internetnutzer Onlinedienste aus Deutschland nicht sicherer als die von US-Anbietern, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der dpa ergab. Zugleich ändern die weitaus meisten nichts an ihrem Verhalten im Netz. Nur rund jeder Fünfte will Internetdienste weniger nutzen oder setzt Sicherheitsvorkehrungen wie Verschlüsselungsprogramme ein. dpa/nd

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