Bankraub für die Dritte Welt

Einer Gruppe Dänen lagen Afrika und Lateinamerika näher als die benachbarte Fabrik

Gabriel Kuhn erzählt die Geschichte einer marxistisch-leninistischen Gruppe in Dänemark, die bis 1989 mit Bankrauben mehrere Befreiungsbewegungen unterstützte.

Die Ausbeutung der armen Länder der Dritten Welt durch die reichen imperialistischen Staaten macht nicht nur die Kapitalisten reicher, sie führt auch zu höheren Löhnen der Arbeiter in den wohlhabenden Ländern. Sie haben deshalb ein materielles Interesse an der Aufrechterhaltung des globalen Kapitalismus.

Diese These, dass die Arbeiterklasse in imperialistischen Ländern gar nicht revolutionär sein könne, so lange die Dritte Welt ausgebeutet werde, vertrat eine in den 1960er Jahren gegründete marxistisch-leninistische Gruppe in Dänemark, das bis heute zu den Ländern mit den höchsten durchschnittlichen Netto-Einkommen zählt. Aus ihrer Analyse entwickelten die dänischen Internationalisten eine radikale legale und illegale Praxis, in deren Mittelpunkt die Dritte Welt stand, wo in den 1960ern soziale Massenbewegungen entstanden und politische Organisationen zu den Waffen griffen.

Das Buch »Bankraub für Befreiungsbewegungen« erzählt die unbekannte Geschichte dieser militanten Dänen, die 20 Jahre lang »handfeste« Solidarität übten, bis sie 1989 mitsamt einer geheimen Wohnung in der Kopenhagener Blekingegade aufflogen. Dieser Straßenname brachte ihnen dank einfallsloser Journalisten den Namen »Blekingegade-Bande« ein. Von keiner anderen ML-Gruppe ist bekannt, dass sie so lange eine illegale Struktur unterhalten hat.

Um die antikolonialen und antiimperialistischen Prozesse zu unterstützen, gab die Gruppe Zeitschriften und Bücher heraus. Aber ihr ging es nicht um bloße Solidaritätsbekundungen und Öffentlichkeitsarbeit: »Für uns bedeutet Solidarität konkrete materielle Unterstützung.« Die Mitglieder sammelten Kleider und Geld für Flüchtlingslager wie das der namibischen SWAPO in Angola, zusätzlich flossen regelmäßig Flohmarkterlöse in die Dritte Welt. So kamen pro Jahr umgerechnet bis zu 100 000 Euro zusammen.

Doch das war nicht alles. Schon Ende der 1960er begann ein Teil der Gruppe mit klandestiner Arbeit, die sich bald auf Fälschungen von Postschecks und Überfälle auf Geldtransporter ausweitete - ohne dazu jemals eine öffentliche Erklärung abzugeben. Insgesamt kamen so mehrere Millionen Euro zusammen. Geld und andere materielle Mittel waren ihrer Einschätzung nach die effektivste Hilfe für die Bewegungen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Sie unterstützten vor allem Befreiungsbewegungen, deren inhaltliche Grundlagen sie teilten, hauptsächlich die Palästinenserorganisation PFLP, auch kleinere Gruppen wie die PFLO in Oman oder das Black Consciousness Movement in Südafrika. Außer Geld besorgten sie Funkausrüstungen und druckten Zeitungen, Flugblätter und Plakate, die über Botswana nach Südafrika geschmuggelt wurden. Weitere Gelder flossen in die Westsahara, nach Simbabwe, El Salvador oder auf die Philippinen.

Im Buch werden erstmals ausgewählte Texte und Dokumente in deutscher Sprache veröffentlicht, außerdem ein Interview mit zwei Gruppenmitgliedern, in dem auch aktuelle Fragen diskutiert werden. Das Buch rückt die Debatte um das privilegierte Leben in den imperialistischen Ländern auf Kosten der Unterdrückten in der Dritten Welt in die Gegenwart: »Die globale Ungleichheit ist immer noch der deutlichste Widerspruch des Kapitalismus. Die Produktion mag sich in die Dritte Welt verlagert haben, aber die Profite fließen immer noch in die Metropole«, führt Jan Weimann aus, der 1991 zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.

Obwohl heute in weit größerem Umfang als in den 1970er Jahren Waren in Billiglohnländern produziert und in Ländern mit höherem Lohnniveau verkauft werden, was sich schon an den Klamotten aus Bangladesch in unserem eigenen Kleiderschrank und dem iPhone auf dem Schreibtisch zeigt, bleibt der ausbeuterische »ungleiche Tausch« auf dem Weltmarkt in der Analyse und Praxis linker Gruppen und Organisierungsprozesse weitgehend unberücksichtigt. Das Buch könnte ein Anstoß sein, den eigenen Blick um eine globale Perspektive zu erweitern - um die Welt zu verändern.

Gabriel Kuhn (Hg.): Bankraub für Befreiungsbewegungen. Die Geschichte der Blekingegade-Gruppe. Unrast Verlag. 232 Seiten, 14 €.

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