Der Mensch. Die Kunst. Die Zukunft
Kunsthandel Karger im stilwerk präsentiert: Falko Warmt
Da sind sie, Große der figürlichen Plastik und Skulptur: Wieland Förster, Jo Jastram, Sabine Grzimek, Waldemar Otto, Anna Franziska Schwarzbach, Susanne Rast, Friedrich B. Henkel und, und, und. Zu sehen sind überwiegend dunkle Bronzen, auch helle Steine. Im Showroom des Kunsthandels Dr. Wilfried Karger im stilwerk an der Kantstraße stehen Meisterwerke der Bildhauerkunst, die ihren »Sozialisations«-Ursprung in der DDR hat, platziert, als seien sie mit der Gönnergeste eines Gotts - vielleicht von Venus und Apollo zugleich, den Göttern der Liebe, der Schönheit, der Poesie - auf Zeit ins Irdische, in die prosaische Präsentation entlassen. Kompakte Volumina und glatt oder detailliert Masse behauptend und bewegt in der Oberfläche. Lebensgroß oder in einem Format, das ermöglicht, per Podest in starke Intimität erzeugende Augenhöhe gebracht zu werden.
Neben dieser großzügigen Schatzkammer tun sich ein Kabinett und ein weiterer Saal auf: Platz für Sonderausstellungen. Diesmal für Zeichnungen, Materialbilder und Assemblagen von Falko Warmt. In der Erwartung auf Ähnliches wie im Showroom eingestimmt, stockt man: Welch Überraschung! Welch Gegensatz! Zeichnungen, Bilder und plastische Werke des 1938 in Gera geborenen, in Berlin lebenden Künstlers, die im ersten Moment des Anblickens nichts als materialisierte Leichtigkeit zu sein scheinen. Die Plastiken: Luftige Spiele der Durchsichtigkeit und begrenzten Offenheit, fragile Manifestationen der Verletzlichkeit, wo sie, zum einen, gebogenen Drähten sensationellen Auftritt verschaffen. Und gepuzzelte Lockerheit, ruppiges Gestückele, wo sie, zum anderen, hauptsächlich Hölzernes zum Rohstoff haben. Die Materialien: Fundstücke, d.h. Teile von Gegenständen, die im Alltag, ihrer Funktion, ihres Gebrauchszusammenhangs beraubt und den Chimären des Fortschritts geopfert, eher Abfall sind.
Eisen verschiedenster Art wie das Winkelteil eines alten Türschlosses, Blechbandreste, Stanzblechstücke, Blenden, Kurbel, Griffe, Transistoren, Computereinzelteile oder Holzleisten, Knöpfe, Schnüre, Späne, Stäbchen, Brettchen, Papiere - das sind die Substanzen und Komponenten der Geburtshilfe zum Beispiel von »Waldgänger mit G-Seite« (Assemblage, 2013», «Alpha + Beta» (Eisenplastik, collagiert, 2013) oder der «Flexmen». Letztere eine Werkserie, in der abstrahierte menschliche Körperprofile geschaffen sind, und aus der in der Ausstellung einige Exemplare stehen - und verblüffen. Filigran, dünn, sich überlagernde oder durchdringende Linien bildend, schaffen sie raumfüllendes Volumen. Beim Nahesehen ist nachzuvollziehen, wie Falko Warmt hier geflickt, gesägt, gerissen, gesteckt, geschweißt, bandagiert, zusammengeklebt und -geschraubt hat. Da und dort sind die Plastiken auch mit einem Farbanstrich versehen, der die Eigenfarbigkeit anderer Teile ergänzt oder mit ihr korrespondiert oder aber ganz und gar ein Ding für sich ist, sozusagen. Sorgfältiges Handwerkliches und anspruchsvolles Ästhetisches sind bei allem in glücklichster Liaison. Welch Reichtum an fantastischen Einfällen ist zu bestaunen!
Die Experimente mit dem Figürlichen sind nicht den Dadaisten oder den Surrealisten abgeschaut, sie sind einzigartig, Falko-Warmt-Stil eben. Die Plastiken geben jede Menge Stoff für Interpretationen. Nicht wegen der Werktitel, die das Rätselhaft-Erzählerische einbringen, das man mit Vergnügen zu entschlüsseln sucht. Aber eben auch. Man wird zum Beispiel am «Waldgänger mit G-Seite» - ein Profil, das bei längerer Betrachtung des Zusammenhangs der vielfältigen Form- und Farbelemente als Kopffüßer erkennbar ist - einen Großbuchstaben «G» entdecken. Dieser gibt der einen Seite der Plastik seinen Namen, denkt man. Oder aber steht er als Piktogramm? Denn rechtsseitig das schmale, blaue Blechbeinchen auf grünlichem Grund scheint beweglicher werden zu wollen als linksseitig der plumpe, grüne Holzstumpf, und so mag es also die Geh-Seite der Figur sein.
Die Bilder: Menschliche Figuren, Mann und Frau, Köpfe im Profil oder frontal sind die häufigsten Motivträger. In einer Welt des schnellen Verfalls der Güter und Werte ist es dem Menschen, aus dem Chaos geboren, aufgetragen, Ordnung zu suchen, humane Beziehungen einzugehen, einander Halt zu geben, sagen, rufen, flüstern die Gemälde und Zeichnungen. Stift und Pinsel haben viel zu tun. Sie schaffen geschlossene Formen, sich Überlagerndes, auch Krakeliges oder Gestricheltes oder Getröpfeltes oder Gestreiftes, in vielerlei Varianten Flächen und Umrisse bildend und aus Gründen hervorscheinend, die durch Collagieren und Applizieren - zum Beispiel Plastikfolien oder kleinste Glasperlen kommen zum Einsatz - reliefartig geformt sind. Eine Lebendigkeit entsteht, die zusätzlich zur flächigen Komposition direkt auf den Betrachter zuströmt. Ein Atmen geht von den Plastiken wie den Bildern aus, mal angstvoll gehemmt, mal abwartend ruhigen Rhythmus haltend oder heftig im Ein und Aus. Fühlende Wesen sind sie alle.
Teils von der Zwiesprache des Künstlers mit Antike und Alten Meistern, christlicher Religion und gesellschaftskritischer Kunst der Moderne angeregt, machen die Werke spürbar, was Falko Warmt umtreibt: die Verletzbarkeit des Menschen, die Gefährdung der Zivilisation, die Zerstörung der Natur durch die Angriffe der Konsumwelt. Was kann Mutter Erde noch gebären, da sie ausgenutzt wird bis aufs Letzte? Kommt nach der Apokalypse die Kultur des Recyclings?
Kunsthandel Dr. Wilfried Karger im stilwerk Berlin, Kantstraße 17: Falko Warmt. «Refugium» - Assemblagen, Materialbilder, Zeichnungen. Bis 1. Februar, Di-Fr 14-19, Sa 10-19 Uhr
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