Unter Wölfen

Im Kino: »12 Years a Slave« von Steve McQueen

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Steve McQueen ist Brite und Schwarzer. Bei der Verleihung der jährlichen Filmpreise der New Yorker Filmkritiker wurde er wegen seines aktuellen Films (nach »Hunger« und »Shame«) kürzlich zum Afroamerikaner ehrenhalber erklärt - von Harry Belafonte persönlich. Dass einer der New Yorker Kritiker, selbst schwarz und, anders als McQueen, tatsächlich Afroamerikaner, sich dieser Würdigung lautstark pöbelnd entgegenstellte, kostete ihn seine Mitgliedschaft in der Kritikervereinigung. Der Film, um den es ging, heißt »12 Years a Slave«, zwölf Jahre Sklave. Er gilt in den USA seit seiner Premiere als die lange überfällige Aufarbeitung der Sklaverei auf der Kinoleinwand, die »Roots« einst für die Fernsehzuschauer anging.

Mit Quentin Tarantino und dem Stilwillen seines »Django Unchained« hat McQueens Film wenig gemein: Eine postmodern-ironische Paraderolle für Christoph Waltz würde man in »12 Years a Slave« lange suchen müssen. Nicht wie Tarantino auf eine Selbstbefreiungs- und Selbstermächtigungsfantasie zielt McQueen, nicht auf den Sklaven als Action-Helden seiner eigenen, endlich wieder selbstbestimmten Geschicke - sondern auf die Darstellung der geschundenen Kreatur, auf eine Vergegenwärtigung des Unrechts des totalen Ausgeliefertseins, das die Sklaverei darstellt. Und um das Grauen des Lebens in Ketten, realen oder metaphorischen, noch ein bisschen besser spürbar zu machen, suchte McQueen sich einen Dr. Watson als Helden. Einen Mann, Solomon Northup, der US-Amerikaner ist und schwarz zu Zeiten, als im Süden des Landes die Sklaverei gang und gäbe ist.

Northup hat das Glück, im Norden zu leben, im Bundesstaat New York, wo er dank einer Ausbildung als Musiker nicht nur ein freier, sondern in diesen 1840er Jahren auch ein geschätzter und gefragter Mann ist. Bis er einem Angebot folgt, im nicht sehr entfernten Washington noch ein paar Dollar mehr zu verdienen. Dort wird er von seinen weißen Geschäftspartnern an eine Schlepperkolonne verkauft. Die Geschichte ist historisch verbürgt, dem Film liegt die selbsterzählte Lebensgeschichte von Solomon Northup zugrunde - und den meisten US-Amerikanern wird es nicht sonderlich schwerfallen, sich gerade Washington als einen Ort vorzustellen, an dem Anstand und Sitte verloren sind und ein freier Mann um seine Freiheit betrogen wird.

Einmal im Süden des Landes angekommen, wird der protestierende Northup mit einem Sklavennamen versehen, an einen ersten Plantagenherren verkauft, dann an einen zweiten. Er wird von einem brutalen Aufseher drangsaliert, der aber die öffentliche Meinung auf seiner Seite hat, weshalb Northup auf Dauer selbst von seinem »Besitzer« nicht vor ihm beschützt werden kann. Er sieht Mütter, die von ihren Kindern getrennt, und junge Frauen, die vergewaltigt werden. Züchtigungen, bei denen der Tod des Gestraften in Kauf genommen wird. Willkür, Heuchelei, Gewalt und systematische Entwürdigung. Wer hier eine schwarze Haut hat, ist automatisch ganz unten, eine Ware in menschlicher Gestalt. Wenn einer aufspielen kann wie Northup, kann man ihn vielleicht gelegentlich im Haus gebrauchen. Wird bekannt, dass er lesen und schreiben kann, droht ihm die Peitsche.

Der Brite Chiwetel Ejiofor macht das ohnmächtige Entsetzen mit Händen greifbar, das seinen Bürger Nor-thup angesichts der Verhältnisse ergreift, in die er da geraten ist. Und ebenso Northups eisernen Willen, sich nicht nur irgendwie stumm am Leben zu erhalten, indem er Befehle schweigend befolgt und ja niemals aufmuckt, sondern seinen Namen, seine Identität und seine Freiheit wiederzuerlangen: »Ich will nicht überleben. Ich will leben!«

Dass Northup sich in dieser Haltung von den meisten seiner Leidensgenossen unterscheidet, dass sein freier, unbeugsamer Wille also davon abzuhängen scheint, dass er die Freiheit kannte, die den anderen schon vor ihrer Geburt genommen wurde, ist eines der beiden Probleme des gut gemachten, gut besetzten, in den USA fast ausnahmslos gefeierten Films.

Ein anderes Problem des Films ist die Schwierigkeit, das Grauen der Sklaverei, das Generationen verschlang und von jeder dieser Generationen ein Leben lang ausgehalten werden musste, in eine filmische Sprache zu übersetzen, die erträglich bleibt, ohne zu verharmlosen. Dieselbe Schwierigkeit also, die es auch unmöglich macht, den Holocaust in Bildern zu vermitteln, die der erlittenen Wirklichkeit auch nur entfernt nahekämen. Dieses Problem kann McQueen nicht lösen. Sein Figurenpersonal reicht vom menschlichen, aber letztlich machtlosen Plantagenbesitzer Ford (Benedict Cumberbatch) bis zu Michael Fassbenders hemmungslosem Sadisten Epps, von Paul Giamattis jovialem Sklavenhändler über Paul Danos rassistischen Aufseher bis zu den biestigen, betrogenen, standesdünkelnden Ehefrauen der Plantageneigner. Alle nach realen Vorlagen beschrieben, alle dem wirklichen Leben nachempfunden, alle aber letztlich vor allem eins: geschminkte Schauspieler, die eine Tragödie geben.

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