Mit dem zweiten Zettel wählt man besser

Volker Bouffiers (CDU) Wiederwahl zum hessischen Ministerpräsidenten war von Pannen überschattet

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 4 Min.
Nun regiert Schwarz-Grün in Hessen. Es ist die erste Koalition dieser Art in einem bundesdeutschen Flächenland.

Es war ein holpriger Start in die 19. Wahlperiode und neue schwarz-grüne Ära, die am Samstag im Sechs-Millionen-Land Hessen mit der Wahl des Ministerpräsidenten und Vereidigung des neuen Landeskabinetts offiziell anbrach. Zwei Stunden lang schien das mit der Konstituierung des Wiesbadener Landtags verbundene Prozedere zügig und nach Plan zu verlaufen. Als dann gegen 13 Uhr Abgeordnete, Gäste und Beobachter erwartungsvoll in den Plenarsaal eilten, um das Ergebnis der Ministerpräsidentenwahl zu erfahren, offenbarte Landtagspräsident Norbert Kartmann (CDU) eine für die Landtagsverwaltung peinliche Panne und erklärte den ersten Wahlgang für ungültig.

Zuvor war einem Grünen-Parlamentarier mitten im Wahlgang aufgefallen, dass unter den von der Landtagsverwaltung präparierten Stimmkarten für die 109 anwesenden Abgeordneten offenbar auch mehrere Exemplare statt »Volker Bouffier« irrtümlicherweise den Namen »Max Mustermann« trugen.

Erst 40 Minuten später stand nach einem von Kartmann angesetzten zweiten Wahlgang der 62-jährige Christdemokrat Volker Bouffier als wiedergewählter Regierungschef fest. Dass auf ihn 62 Ja-Stimmen entfielen, deutet darauf hin, dass er wohl neben der Rückendeckung durch alle 61 Abgeordneten von CDU und Grünen auch mindestens eine Stimme aus den Reihen der Opposition erhalten haben dürfte. Es entfielen auf Bouffier im ersten Wahlgang lediglich 60 Stimmen und auf Mustermann eine Stimme. Dass der CDU-Mann nach der zweiten Runde als strahlender Sieger dastand, entzog Spekulationen über mögliche erste Abweichler im schwarz-grünen Lager fürs Erste den Boden. »Das wird nicht lustig für die Landtagsverwaltung«, drohte der Chef der Staatskanzlei, Axel Wintermeyer (CDU), eine gründliche Aufarbeitung des Fehlstarts an.

Das neue schwarz-grüne Bündnis hat sich in seinem Koalitionsvertrag eine strikte Ausgabendisziplin verordnet und will durch spürbare Einsparungen bis 2019 unter dem Diktat der »Schuldenbremse« ein strukturelles Defizit von über einer Milliarde Euro abbauen und einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Ungeachtet dieser »Sachzwänge« beschloss das neu konstituierte Parlament einmütig eine Erhöhung der Zahl der Landtagsvizepräsidenten auf fünf. Damit kommen alle fünf Fraktionen zum Zuge. Weil mit diesen Ämtern zusätzliche Einkünfte und Dienstwagen auch für die Vizepräsidenten verbunden sind, stieß diese Regelung nicht nur beim Bund der Steuerzahler (BdSt) auf Kritik. »Der Landtag Brandenburg kommt trotz fünf Fraktionen sogar mit nur einem Vizepräsidenten aus«, so der BdSt.

Unmut im Wahlvolk über diese umstrittene Aufblähung herrschte auch beim Alterspräsidenten Horst Klee (CDU). »Ob die Erhöhung der Landtagsvizepräsidenten auf fünf ein Beitrag zur Verbesserung der Parlamentsarbeit ist, wage ich zu bezweifeln, auch unter Kostengesichtspunkten«, sagte Klee. Seine mahnenden Worte blieben allerdings folgenlos. Und ob das Hohe Haus seinem Appell folgt, »das ramponierte Ansehen der Politik positiv zu korrigieren«, wird sich schon bei der ersten Plenarsitzung Anfang Februar zeigen. »Ich halte es nach wie vor für eine Missachtung von Debattenrednern und angesprochenen Themen, wenn Regierungsmitglieder und Abgeordnete im Plenarsaal Zeitung lesen, telefonieren, ohne Pause ihr Smartphone oder ihren Laptop bedienen«, schrieb Klee Regierung und Parlament ins Stammbuch.

Nachdenkliche und sanftere Töne als in früheren Jahren schlug Ministerpräsident Bouffier an, der sich als Pionier von Schwarz-Grün um einen Hauch von Geschichte bemühte. »Die Grenzen der politischen Lager verschieben sich, Politik ist die Kunst des denkbar Unmöglichen«, so der CDU-Mann: »Wir schlagen ein neues Kapitel auf. Niemand kann sagen, wie die ersten Seiten gefüllt werden.« Der erste Antritt einer schwarz-grünen Regierung in einem bundesdeutschen Flächenland wurde von Beobachtern aus Nah und Fern aufmerksam verfolgt. Auf der Zuschauertribüne saß auch die rheinland-pfälzische CDU-Fraktions- und Landeschefin Julia Klöckner. Ob das schwarz-grüne Experiment anderswo Nachahmung findet, wird die Praxis zeigen.

Im neuen Wiesbadener Landtag verfügen CDU und Grüne über 61 von 110 Mandaten. »Nummer zwei« im neuen Landeskabinett ist Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne). Stärkste Oppositionspartei ist mit ihrer 37-köpfigen Fraktion die SPD, während LINKE und FDP mit 5,2 beziehungsweise 5,0 Prozent den Wiedereinzug nur knapp schafften und mit jeweils sechs Abgeordneten vertreten sind.

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