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»Nicht einmal nahe an der Wahrheit«

Zwei US-Forscher bezweifeln die offizielle amerikanische Darstellung des Angriffs mit Sarin-Gas in der syrischen Region Ghuta

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.
Für die US-Regierung wäre das Massaker in der syrischen Region Ghuta fast zum Casus Belli geworden. Doch zwei US-Forscher sagen: Assads Truppen waren zu dem Giftgasangriff gar nicht in der Lage.

Es ist nicht der erste Bericht, der die gängige Darstellung des Giftgasangriffs in der syrischen Region Ghuta infrage stellt, aber vielleicht der fundierteste: Syrische Regierungstruppen seien wahrscheinlich nicht verantwortlich für das Massaker. Karten amerikanischer Geheimdienste und Untersuchungen von Raketen würden die bisherigen Vorwürfe entkräften. Zu diesem Ergebnis kommen nun zwei US-Forscher.

In ihrer Studie »Possible Implications of Faulty US Technical Intelligence« untersuchen der ehemalige UN-Waffeninspekteur Richard Lloyd und der Professor des Massachusetts Institute of Technology Theodor Postol die Raketen, mit denen am 21. August letzten Jahres Sarin in mehrere Ortschaften geschossen wurde. Zwischen 281 und 1729 Menschen kamen dabei ums Leben.

Ihr Ergebnis: Vergleicht man die Reichweite der Raketen mit Geheimdienstkarten der Region, so könne das Sarin nicht aus Gebieten abgeschossen worden sein, die zu dem Zeitpunkt von syrischen Truppen kontrolliert wurden. Die US-Regierung hatte mit eben jenen Karten am 30. August aber die Täterschaft des syrischen Militärs zu beweisen versucht. Ihre Erkenntnisse stützen die Forscher auf Berechnungen der aerodynamischen Eigenschaften der Geschosse. Die ließen nur eine maximale Reichweite von zwei Kilometern zu. Zur Zeit des Angriffs seien sämtliche für einen Abschuss in Frage kommenden Gebiete aber in der Hand oppositioneller Milizen gewesen.

Lloyd und Postol gehen auch auf die politischen Implikationen der Geheimdienstangaben ein: »Diese falschen Informationen hätten zu einem ungerechtfertigten US-Militärangriff« führen können. Eine genaue Bewertung der Munition hätte zu »einer völlig gegenteiligen Einschätzung der Situation führen müssen«. Gegenüber dem Washingtoner Büro des Medienkonzerns McClatchy erklärt Postol, dass er selbst zuerst von einem Angriff durch Assad-Truppen ausgegangen war: »Als ich mit dieser Arbeit anfing, war ich der Meinung, dass niemand außer der syrischen Regierung hinter dem Angriff stehen könne. Aber jetzt bin ich mir keiner Sache mehr sicher.« Die Berichte der US-Regierung seien »nicht einmal nahe an der Wahrheit«. Zur Frage, ob Oppositionelle hinter dem Angriff stecken könnten, sagt er: »Die syrischen Rebellen haben sehr wahrscheinlich die Fähigkeit, solche Waffen herzustellen. Ich denke, sie könnten eher dazu fähig sein als die syrische Regierung.«

Anders als die beiden Wissenschaftler machten die US-Regierung und andere westliche Staaten schon eine Woche nach dem Angriff Präsident Assad und die syrische Armee für das Massaker verantwortlich. Die angekündigte Bombardierung des Landes konnte erst abgewendet werden, als sich das syrische Regime bereit erklärte, sein komplettes Chemiewaffenarsenal vernichten zu lassen.

Die Studie von Postol und Lloyd ist nicht der erste Bericht, der die offizielle US-amerikanische Darstellung des Giftgasangriffs infrage stellt. Bereits Ende letzten Jahres sorgte ein Artikel des Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh für Aufsehen. Sein Vorwurf: Amerikanische Geheimdienste hätten schon Monate vor dem Angriff vom Giftgas-Potenzial syrischer Rebellen gewusst. Informationen, die dies belegen, seien absichtlich von der Washingtoner Regierung manipuliert, ein Kriegsvorwand sei dadurch geliefert worden.

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