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Dekolonisation
LESEPROBE
»Dekolonisation« ist ein technischer und undramatischer Begriff für einen der dramatischsten Vorgänge der neueren Geschichte. Man kann diesen historischen Prozess mit einer Doppeldefinition fassen, die ihn nicht chronologisch unbestimmt hält, sondern eindeutig in der Geschichte des 20. Jahrhunderts verankert. Dekolonisation ist demnach erstens die gleichzeitige Auflösung mehrerer interkontinentaler Imperien innerhalb des kurzen Zeitraums von etwa drei Jahrzehnten, verbunden mit, zweitens, der historisch einmaligen und voraussichtlich unumkehrbaren Delegitimierung jeglicher Herrschaft, die als ein Untertanenverhältnis zu Fremden empfunden wird ...
Seit den 1990er Jahren ist es in vielen europäischen Ländern und Japan zu Erinnerungsdebatten und staatlichen Initiativen um die koloniale Vergangenheit gekommen. Im Mittelpunkt stehen Momente kolonialer Gewalt: der Mau-Mau-Krieg, der Algerienkrieg, die Ermordung Lumumbas, der italienische Giftgaseinsatz in Äthiopien, das japanische Nanjing-Massaker, der deutsche Herero-Krieg in Namibia. Seit der Jahrtausendwende haben die Regierungen Großbritanniens, Frankreichs und der Niederlande in großen symbolischen Gesten an die Verantwortung ihrer Länder für die Sklaverei erinnert ... In vielen Ländern haben sich die Erinnerungsdebatten auch mit Fragen von Diskriminierung, Fremdenhass und Integrationsproblemen der Einwanderungsgesellschaften verbunden. In Frankreich ist ein regelrechter Erinnerungskrieg» entbrannt, in dem Konflikte der Gegenwart mit Bezug auf die koloniale Vergangenheit ausgetragen werden ...
Zwischen einigen Ländern hat sich in den letzten Jahren eine Diplomatie der Erinnerung um die gemeinsame Kolonialvergangenheit entwickelt. Seither wird etwa in Seoul und Peking genaustens beobachtet, wie in Tokio die japanischen Kriegsgräuel in Asien erinnert werden. Forderungen nach Entschädigungszahlungen und symbolischen Entschuldigungsgesten kommen immer wieder neu auf.
Aus dem Buch von Jan C. Jansen und Jürgen Osterhammel «Dekolonisation. Das Ende der Imperien» (C.H. Beck, 144 S., br., 8,95 €).
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