Fluchtstädte

Heute: Die Wohn- und Funktionsarchitektur der Eliten

Der Fußballfex Armin Veh, so meldet es der »Spiegel« am Montag, liegt im Streit mit der bayerischen Gemeinde Bonstetten: Offenbar hat er dort eine Art Bunkerstadt errichtet, gigantische Betonplatten schirmen sein Anwesen von einer offenkundig als einzige Bedrohung empfundenen Außenwelt ab. Alles, was fehlt, ist ein Minenfeld. Ob die Höhe der Platten zulässig ist, entscheiden wohl Gerichte; doch ist das Gebäude auch so schon Zeugnis von der Beton gewordenen Panik der Eliten: Ihre neuere Wohn- und Funktionsarchitektur wirkt so, als sei die Abwehr wütender Menschenmassen maßgeblicher Gedanke der Planung gewesen.

Wer schon die Frankfurter Zentrale der Deutschen Bank bedrückend findet, sollte sich nicht das Bankendorf ansehen, das sich direkt östlich in ihren Schatten schmiegt. Mehrere kleine, niedergeschossige, nahezu identische Finanzpaläste stehen dort in Reihen, gruppiert um einen zentralen Platz gleicher Bauweise. In den Häusern: diverse zwielichtige Investmentbanken. Eine Tempelstadt, dem Glücksspiel geweiht. Nächtens ist es dort geradezu gespenstisch. Die Sicherheit ist aber auch hier alles bestimmendes Motiv: die Eingangsbereiche eng und mehrfach durch Säulen gebrochen, als hätte der Architekt selbst schon das Bedürfnis jucken gespürt, in einem VW-Bus voll mit Sprengstoff hineinzurasen. Die Architektur antizipiert die Gewalt gegen sich und suggeriert dadurch erst, was man Schlimmes mit ihr anstellen könnte. Die Wände haben nicht nur Ohren, sie haben auch Verfolgungswahn.

Nicht weit entfernt liegt die Hochsicherheits-Mall Myzeil, in deren Front ganz planmäßig ein Loch klafft, als sei schon zur Eröffnung mit der Panzerfaust drauf geschossen worden - und jeder, der sich im Gewirr der Rolltreppen und konsumgerecht programmierten Lifte (sie fahren so viel lieber nach oben als nach unten) verloren glaubte, fühlt dadurch schon seinen gerechten Zorn auf das Gebäude verhöhnt - es ist ja schon beschädigt und durchlöchert, der Vernichtungswunsch zielt ins Leere.

Der Schutz der Gesellschaft, so der Philosoph Robert Pfaller, wird in der Postmoderne ersetzt durch den Wunsch nach Schutz vor der Gesellschaft. Keine Stehparty von auch nur mäßig erfolgreichen Mittdreißigern, wo nicht plötzlich und unaufgefordert einer seinen Wunsch artikuliert, aufs Land zu ziehen, in ein altes Bauernhaus oder einen historischen Hühnerstall, um dort in aller Seelenruhe Motorrad zu fahren. Wenn Erfolg sich mittlerweile daran misst, wie weit man sich vom Rest der Menschheit entfernt, dann darf jener Schiffbrüchige, der angeblich 13 Monate im Boot durch die Weltmeere trieb, wahrhaft als Held unserer Zeit betrachtet werden - oder wahlweise als ihr größter Verlierer. Immerhin musste er ja zurückkehren.

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