Selbstschutz und nicht Männerhass

Für Veronika Kracher sind die Facebook-Gruppe »Are we dating the same guy?« und die App »Tea« eine legitime Reaktion auf patriarchale Gewalt

Misogynie – Selbstschutz und nicht Männerhass

Die systematische Abwertung von Frauen ist der Kitt, der das Patriarchat zusammenhält. Es ist gesellschaftlich normal und legitim, den weiblichen Leib zu objektifizieren und zu konsumieren: Sprücheklopferei über den letzten Aufriss, misogyne Pornografie, sexuelle Belästigung bis hin zur Gewalt. Kollektiv ausgeübte patriarchale Gewalt, die von der gemeinsam durchgeführten verbalen Belästigung bis hin zur Gruppenvergewaltigung reichen kann, dient bei den Tätern immer auch als eine Form von binnenmännlichem Bonding-Moment. Sie können sich so vergewissern, als Männer die Macht zu haben, FLINTA (und oft auch schwule Männer) in ihrem Geschlecht herabwürdigen und sich somit narzisstisch selbst zu überhöhen.

Im digitalen Raum ist die Vernetzung zur kollektiven Demütigung von Frauen noch ein gutes Stück einfacher geworden: durch Vergewaltigernetzwerke auf Telegram zum Beispiel. Oder die Deepfake-Epidemie in Südkorea: Schüler und Studenten posten Fotos ihrer Kommiliton*innen in frauenfeindlichen Chatgruppen, wo andere User mittels KI Nacktfotos der Betroffenen erstellen. In Italien sorgte zuletzt die Facebook-Gruppe »Mia Moglie« für Entsetzen, auf der User intime Bilder ihrer Partnerinnen posten konnten. Andere User konnten sie dann kommentiert und bewertet. Inzwischen ist die Gruppe geschlossen. Auf dem Forum »Reddit«, das für jedes nischige Interesse ein eigenes Unterforum hat, können sich User*innen nicht nur über Pokémon oder Gusseisenpfannen unterhalten, sondern auch nicht-konsensuelles Bild- und Videomaterial veröffentlichen.

In Deutschland wird jede dritte Frau in ihrem Leben mindestens einmal Opfer von körperlicher und/oder sexueller Gewalt, jede vierte Frau Opfer von Stalking. Die Zahlen steigen von Jahr zu Jahr an. Kurz: Es ist mehr als nachvollziehbar, dass sich Frauen untereinander vor übergriffigen Männern warnen und vor Dates entsprechende Maßnahmen treffen – Verabredungen an einem öffentlichen Ort, regelmäßige Updates an Freund*innen, die Nachricht, ob man wieder sicher zuhause angekommen ist. Neu ist dieses Verhalten nicht: Bereits vor dem Internet schützten sich Mädchen und Frauen in Form von Flüsternetzwerken – paternalistisch als »Getratsche« und »Gerüchteküche« abgetan oder als »Diffamierung unschuldiger Männer« gebrandmarkt. Die geschlossene Facebook-Gruppe »Are we dating the same guy?« und die App »Tea« sind kontemporäre Beispiele für den von Frauen organisierten Selbstschutz.

Veronika Kracher

Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.

In der ersten Gruppe, von der es für die meisten Großstädte einen Ableger gibt, tauschen sich die Nutzerinnen über potenzielle Betrüger und emotional wie körperlich gewalttätige Männer aus. Userinnen posten beispielsweise Screenshots aus Dating-Apps und fragen: »Hat jemand von euch Erfahrungen mit diesem Typen gemacht?« Oder sie berichten von Ghosting nach einigen Dates, um dann von anderen Mitgliedern der Gruppe den Hinweis zu bekommen, dass der Mann eigentlich in einer festen Beziehung steckt. Die US-amerikanische App »Tea« funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip. Dort können Nutzerinnen einsehen, ob der charmante Kerl, mit dem sie zum Abendessen verabredet sind, verheiratet oder vorbestraft ist oder eine falsche Identität benutzt.

Die Größe der Gruppen und die Menge an dokumentierten Vorfällen zeigen die Notwendigkeit dieses Austausches auf. Kritiker*innen (meistens Männer) werfen den Gruppen allerdings vor, dass dort Rufmord begangen werde und zum Teil unschuldige Männer diffamiert würden. Sie seien »Pranger« und aus dem Ruder gelaufener Männerhass.

Bei diesen Gruppen handelt es sich primär um die legitime Reaktion auf patriarchale Gewalt. Dass viele heterosexuelle Männer deshalb so extrem empfindlich darauf reagieren, dass sich Frauen gegen potenzielle Übergriffe oder Sex unter falschen Vorannahmen (zum Beispiel: Ein Mann gibt sich als Single aus, während er in einer Beziehung ist) schützen, zeigt auf, wie sehr sie noch dem Glauben anhängen, ein Anrecht auf einen potentiellen Übergriff zu haben. Solche Apps würden Männer unter Generalverdacht stellen, Täter zu sein, ist ein Argument der »Kritiker«. Aber hätten die »guten Männer« dann nichts zu befürchten? Vielleicht ist diese »Kritik« ein Ausdruck der Angst, vor Augen geführt zu bekommen, dass das eigene Verhalten doch von patriarchalem Anspruchsdenken und Grenzüberschreitungen geprägt ist und man eben doch nicht zu den »Guten« gehört. Viele Täter verweigern sich der Erkenntnis, übergriffig geworden zu sein: Für sie ist die Nötigung zum Sex kein Akt der Gewalt, sondern gilt als »Verführung«. Statt sich der Omnipräsenz patriarchaler Gewalt zu stellen und zu reflektieren, Nutznießer dieser zu sein oder sie vielleicht sogar selbst ausgeübt zu haben, gehen sie lieber in eine Abwehrhaltung.

Oder: Männer bestrafen Frauen dafür, dass sie versuchen, sich zu schützen und patriarchale Gewalt anzusprechen. Männerrechtsaktivisten versuchen die Löschung von »Are we dating the same guy«-Gruppen zu erreichen oder verklagen die Administratorinnen wegen »Rufmord«. Auf Reddit tauschen sie sich darüber aus, wie gemein es doch sei, zum Gegenstand des kollektiven Gesprächs »hysterischer Weiber« gemacht zu werden. »Tea« wurde Ende Juli sogar gehackt; die Täter verbreiteten über 70.000 Bilder auf dem misogynen und rechtslastigen Imageboard »4chan«, außerdem Karten, auf denen die Wohnorte der Nutzerinnen eingezeichnet waren. Diese Inhalte verbreiteten sich rasend schnell auf sozialen Medien; Männer riefen eigene Webseiten ins Leben, um die Frauen, die »Tea« verwendeten, anzugreifen und zu demütigen.

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Das ist nichts anderes als misogyne Rache dafür, dass Frauen sich schützen wollen. Diese Aktionen sagen nichts anderes aus als: »Ihr habt unsere Gewalt zu ertragen und sollt darüber gefälligst die Schnauze halten.« Es ist die Verteidigung eines vermeintlichen Rechts darauf, Gewalt gegen Frauen ausüben zu dürfen, ohne dafür Konsequenzen zu erfahren.

Inzwischen gibt es übrigens die Männerversion von »Tea«: »TeaOnHer«. Dabei brauchen Männer keine eigene App, um über Frauen herzuziehen. Dafür steht ihnen leider die ganze Welt offen. Und einen Backlash befürchten müssen sie auch nicht. Doch »TeaOnHer« zeigt auf, wie gut ein bestimmter Typus Mann damit umgehen kann, dass Frauen sich gegen Übergriffe und Manipulation schützen wollen: nämlich überhaupt nicht.

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