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Auch Rassisten mögen Quoten-Ausländer
Unser Kolumnist Leo Fischer beobachtet, wie rechte Medien und Politiker Fakten schaffen, um aus ihrer Propaganda Wahrheiten zu machen
Wenn einem je ein Beispiel für das Wort »Kriminalisierung« gefehlt hat, bekommt man es heute auf eine grauenhafte Weise tagtäglich veranschaulicht: bei sogenannten Abschiebungen. Fast jeden Tag hört man eine neue Geschichte, von gut integrierten Schüler*innen oder Auszubildenden, die teils mitten in der Nacht entführt, aus dem laufenden Schulbetrieb gerissen werden – oder man lauert ihnen bei einem scheinbaren Routinetermin in Behörden auf. Der Aufschrei ist oft groß, Initiativen werden gegründet, Unterschriften gesammelt. Alles mit gutem Recht. Aber für die Verantwortlichen sind das lediglich Kollateralschäden. Die Anzahl der Abschiebungen, die erzielt werden sollen, steht nämlich schon vorher fest.
Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft
Die rassistische Raserei, wie der entfesselte Migrationsdiskurs an dieser Stelle schon einmal genannt wurde, schafft die Fakten selbst, die sie auslöst. Es gibt schließlich keine konkrete Zahl krimineller oder ausreisepflichtiger Migrant*innen. Doch die rassistische Propaganda rechtsextremer Mediennetzwerke schafft eine gefühlte Wahrheit, in der »Ausländerkriminalität« allgegenwärtig zu sein scheint. Zur Bestätigung werden Quoten vorgegeben, die die Vollzugsbehörden dann durchzusetzen haben. Werden die Quoten erreicht, beweist sich die Notwendigkeit der Maßnahme ganz von selbst! Folglich war die Maßnahme sinnvoll und rational; aus der gefühlten wird eine geschaffene Wahrheit.
In den USA wird nur dreister durchexerziert, was auch hier längst Usus ist. Erst vor wenigen Wochen erhielt die Einwanderungsbehörde ICE eine nie dagewesene Mittelerhöhung. Ihr Budget übertrifft nun das von FBI, CIA oder das vieler konventioneller Armeen dieser Welt. Die Ministerin will täglich Tausende abschieben – dafür terrorisiert ICE an der Westküste schon jetzt ganze Großstädte. Medienberichte über vermummte, sich nicht ausweisende Männer in Uniform, die am helllichten Tag Menschen nach der Hautfarbe aussortieren und dann unter dem Verdacht, nicht ins Land zu gehören, an unbekannte Orte verschwinden lassen, sind keine Seltenheit mehr. Das Schicksal von Unschuldigen, die als vermeintliche »Gangmitglieder« in einen Horrorknast in El Salvador verschleppt wurden, ist das logische Ergebnis. Aber auch Tourist*innen, die wochenlang eingebuchtet werden, weil sie ihr Visum überzogen haben, sind Ergebnis dieser Raserei.
Sie ist auch ein lohnendes Geschäft: Die US-Gefängnisse sind weitgehend privatisiert; sie stellen nahezu kostenlose Arbeit bereit. Die Angestellten eines neuen Knasts in den Everglade-Sümpfen Floridas erhalten wiederum Stundenlöhne weit über denen von Lehrer*innen – bezahlt aus Verträgen mit der aufgepimpten ICE-Behörde.
Einrichtungen solcher Art müssen irgendwann andere Insassen suchen, um ihr Budget zu rechtfertigen. Sie wissen sich ideologisch gestützt durch eine Mittelschicht, die das Gefühl, ihr würde etwas zugunsten von »Ausländern« weggenommen, so sehr internalisiert hat, dass sie die eigene Entrechtung hinnimmt. Denn wenn uns schon allen etwas genommen wird, dann hoffentlich den Ausländern mehr als uns.
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