Istanbul: Polizei attackiert erneut Proteste

Tausende gehen gegen Internet-Gesetze auf die Straße / Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschosse gegen Demonstranten

  • Lesedauer: 3 Min.

Istanbul. In Istanbul ist die Polizei erneut massiv und gewaltsam gegen Oppositionsanhänger vorgegangen. Die Sicherheitskräfte versuchten bis in die Nacht, die im Zentrum zu Tausenden versammelten Regierungsgegner in Seitenstraßen abzudrängen. Diese wollten gegen schärfere Internet-Gesetze der türkischen Regierung protestierten. Oppositionsgruppen hatten zu der Kundgebung am Taksim-Platz unter dem Motto »Stoppt die Zensur« aufgerufen. Die Polizei riegelte den Platz ab.

Wegen der fehlenden richterlichen Kontrolle und der weit gefassten Kriterien befürchten Kritiker, dass die Änderungen zu massenhafter Zensur im Internet führen könnten, zumal die willkürliche Sperrung von Internetseiten schon länger gängige Praxis in der Türkei ist. Auch die OSZE hatte sich besorgt geäußert.

Die Polizei griff die Regierungsgegner mit Wasserwerfern, Tränengas und Plastikgeschossen an. Aus den Reihen der Regierungsgegner flogen am Samstagabend auch Feuerwerkskörper und Steine, wie Augenzeugen berichteten. Demonstranten errichteten in der Umgebung des Taksim-Platzes Barrikaden und zündeten sie an. Demonstranten forderten in Sprechchören den Rücktritt der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.

Das Parlament in Ankara hatte in der Nacht zu Donnerstag ein Gesetz beschlossen, das Behörden unter anderem erlaubt, Internetseiten ohne richterlichen Beschluss zu sperren. Das von Erdogan initiierte Gesetz muss noch von Staatspräsident Abdullah Gül unterzeichnet werden. Die EU hatte vom Beitrittskandidaten Türkei eine Neufassung des Gesetzes gefordert.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte das gesetz scharf. Mit der Regelung »könnten türkische Behörden praktisch ohne rechtsstaatliche Kontrolle beliebige Webseiten wegen kritischer Äußerungen über Tabuthemen oder Politiker sperren«, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. »Das Vorhaben fügt sich nahtlos in eine Reihe repressiver Reaktionen der türkischen Regierung auf die Protestbewegungen seit dem vergangenen Sommer ein. Ministerpräsident Erdogan sollte endlich begreifen, dass er Kritik an seiner Politik nicht mit immer weiteren Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit beenden kann.«

Die Linkenpolitikerin Sevim Dagdelen sprach von einem weiteren »Schritt in Richtung Demokratieabbau. Die AKP steuert direkt auf einen islamistischen Unterdrückungsstaat zu. Unter dem Vorwand des Jugendschutzes sollen soziale Medien als wichtigster Kommunikationskanal der Demokratiebewegung bekämpft werden«, so die Bundestagsabgeordnete.

Im vergangenen Sommer war es landesweit zu heftigen Protesten gegen die islamisch-konservative Erdogan-Regierung gekommen. Der Widerstand entzündete sich an der geplanten Bebauung des Gezi-Parks am Taksim-Platz. Erdogans Regierung steht außerdem wegen Korruptionsermittlungen unter Druck, in deren Folge Ende 2013 vier Minister zurücktraten. Nachdem die Justiz Mitte Dezember mehr als 50 Verdächtige bei Razzien festnehmen ließ, enthob die Regierung Tausende Polizisten und Staatsanwälte ihres Amtes. Darunter waren zahlreiche mit den Korruptionsermittlungen befasste Beamte. dpa/nd

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal