Kanzleramt wusste über Edathy Bescheid

Was man hinnehmen muss ... Zwischen Staatssekretär Fritsche und dem SPD-Abgeordneten war eine Rechnung offen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Sebastian Edathy wehrt sich: Eine Woche nachdem seine Büros nach Kinderpornos durchsucht wurden, hat der SPD-Politiker Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft Hannover eingelegt.

Das eine ist der Fall Edathy - so es einer ist. Der einstige Bundestagsabgeordnete und sein Anwalt Christian Noll rücken zum Gegenangriff vor. Sie werfen dem Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, vor, die Behörde habe »bewusst unrichtig« über die Ermittlungen informiert. Beispielsweise habe Fröhlich bei der Pressekonferenz am Freitag nicht deutlich gemacht, dass vor Beginn ihres Verfahrens bereits die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main sowie das Bundeskriminalamt erklärt hätten, die von Edathy bestellten Bilder seien strafrechtlich nicht relevant.

»Aus einem legalen Verhalten kann auch nicht auf ein illegales geschlossen werden«, heißt es in dem elfseitigen Schreiben, das am Montag im niedersächsischen Justizministerium einging. Von einer Minute auf die andere hätten die Ermittler Persönlichkeitsrechte Edathys, dessen berufliche, soziale und private Stellung ausgelöscht.

Im Vergleich zu anderen oberflächlichen medialen Berichterstattungen hat Heribert Prantl in der »Süddeutschen Zeitung« die Handlungsweise der Justiz analysiert. Überschrift: »Strafrecht ist kein Moralrecht«. Wohl wissend, dass Edathy kein strafrechtlicher Vorwurf zu machen ist, führte man die Durchsuchungen von Edathys Wohnung und seinen Büros durch, ist da zu lesen. Dabei habe man angeführt, »dass erfahrungsgemäß derjenige, der erlaubte Nacktfilme bestellt, auch illegale bestellt und besitzt. Allein auf diese angebliche Erfahrung wurden die Durchsuchungen gestützt. Also: Man hat keine festen Anhaltspunkte für eine Straftat, durchsucht aber, um feste Anhaltspunkte zu finden - und dann damit die vorherige Durchsuchung zu begründen. Und wenn man sie nicht findet, wird gesagt, dass wohl Beweise vernichtet worden seien.« Weiter schreibt Prantl: »Und, um es ins Lächerliche zu treiben: Wer viel Kaugummi kaut, kaut womöglich auch das verbotene Rauschgift Kat ...«

Es kann nicht verwundern, dass Edathy die Prantl-Abhandlungen als Link auf seine sonst nur spärlich genutzte Facebook-Seite gestellt hat.

Unterdessen wächst der Berg unbeantworteter Fragen. Wer wusste wann was von wem über wen? Am Anfang der Informantenkette steht der Chef des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke (SPD). Er soll im Oktober 2013 den damaligen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Klaus-Dieter Fritsche (CSU), davon unerrichtet haben, dass der Name Edathy im Rahmen eines internationalen Ermittlungsverfahrens wegen Kinderpornografie aufgetaucht sei. Das Ermittlungsverfahren lief in Kanada seit 2010. 2012 hatte das BKA davon Kenntnis erhalten, denn man sei auf 800 Namen von Deutschen gestoßen, die irgendwie - und unbedingt als Namen von Beschuldigten - aufgetaucht sind. Warum informierte Ziercke überhaupt das Innenministerium und warum erst im Oktober 2013? Wie dem auch ist, Fritsche informierte seinen Minister und Parteifreund Hans-Peter Friedrich. Der am Freitag als Agarminister Zurückgetretene flüsterte es SPD-Chef Sigmar Gabriel, der gab sein Wissen weiter an die Genossen Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann ... Die Kette der Indiskretionen ist lang.

Der ursprüngliche Nachrichtenempfänger Fritsche ist äußerlich ein unscheinbarer Beamter. In Wahrheit aber ein Machtmensch. Immer Vize, immer der, der die Fäden zieht. So war es zwischen 1996 und 2005 als Vize im Bundesamt für Verfassungsschutz, dann als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt. Ab 2009 war er Vize-Chef im Bundesinnenministerium.

Kann es sein, dass der BKA-Präsident Ziercke Fritsche mit der Edathy-Information eine willkommene Bombe in die Hand gab? Denn mit Edathy hatte der noch eine Rechnung offen. Rund ein Jahr zuvor waren beide im Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) aneinandergeraten. Statt bei der Aufklärung behilflich zu sein, betrieb der Zeuge Fritsche Staatsbürgerkunde. Er beklagte Durchstechereien an die Presse und warb eindringlich dafür, das V-Leute-System der Geheimdienste zu bewahren. Dabei ist Fritsche eine Schlüsselfigur beim staatlichen Versagen wider rechtsextremen Terror.

»Es gibt Grenzen dessen, was man hinnehmen muss«, unterbrach der Ausschussvorsitzende Fritsches herablassende Verkündigungen. Das Publikum wurde ausgeschlossen, um in geschlossener Sitzung Tacheles zu reden. Auch über einen ebenso unverschämten wie vertraulichen Brief, den Fritsche am 17. August 2012 an den Ausschussvorsitzenden gerichtet hatte. Er sehe sich »gezwungen, bei der Übermittlung vertraulicher Informationen einen deutlich strengeren Maßstab anzulegen«. Klartext, der Staatssekretär sprach den Abgeordneten das Recht zur Akteneinsicht ab.

Kanzlerin Angela Merkel behauptet stur, sie habe erst jetzt aus der Presse von dem Fall Edathy erfahren. Der wurde nicht einmal in den wöchentlichen Sicherheitslagen aufgerufen? Seltsam. Merkels Kanzleramt jedenfalls war aus erster Hand informiert, denn: Ex-Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Frische, jener Mann also, der vom BKA-Chef Ziercke über Edathys Problem informiert worden war, ist seit Dezember 2013 im Bundeskanzleramt Merkels Staatssekretär für die Belange der Nachrichtendienste.

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