»Musiker hatten eine Ersatzfunktion«

Lutz Kirchenwitz über das Festival »Musik und Politik«, revolutionäre Liebeslieder und Sascha Anderson

  • Lesedauer: 6 Min.
Lutz Kirchenwitz vom Verein Lied und soziale Bewegungen e.V. engagiert sich seit Jahrzehnten für das politische Liedgut. Der Verein sammelt Lieder, insbesondere der Liedermacher-Bewegung der DDR und des internationalen Festivals des politischen Liedes in Berlin (1970-1990). Vom 20.-23. Februar richtet der Verein das Festival »Musik und Politik« aus. Mit Lutz Kirchenwitz sprach Tobias Riegel.

nd: Das Festival »Musik und Politik« legte oft einen Fokus auf ein bestimmtes Land. Den gibt es dieses Jahr nicht. Was sind die Schwerpunkte des Festivals?
Kirchenwitz: Dieses Jahr haben wir einen historischen Schwerpunkt gewählt, wir machen »volle Packung Geschichte«. Dabei spielt die DDR-Geschichte eine besondere Rolle. Zwar spielen in einem Konzert zwei Österreicher und an einem Abend auch eine italienische Band. Aber es gibt nicht den einen Länderschwerpunkt, wie wir das in anderen Jahren manchmal hatten.

Sie beschäftigen sich schon seit Jahrzehnten mit engagierter Musik. Haben Sie die Hoffnung schon verloren oder glauben Sie noch an die politische oder wenigstens persönlich heilende Wirkung der Musik?
Ich lasse mir meine Liebe für Musik, die sich engagiert und die Probleme der Welt in sich aufnimmt, nicht nehmen. Ich mag solche Musik, alte wie neue. Dass die in der Öffentlichkeit im Moment keine besonders große Rolle spielt, muss ich akzeptieren. Ich glaube allerdings auch nicht, dass sich das bald ändern wird.

Kann ein Liebeslied unter Umständen mehr gesellschaftlich in Bewegung bringen als ein gesungenes Pamphlet?
Ein Lied kann eine politische Wirkung haben, obwohl es keinen politischen Inhalt hat. Die Hymne des portugiesischen April 1974, die rief ja nicht zum Kampf auf. Das war ein sozial bezogenes Lied eines politisch engagierten Künstlers. Ob ein Lied politisch wirkt und was es konkret beschreibt, kann ja durchaus unterschiedlich sein. Einige der bekanntesten Lieder von Victor Jara sind Liebeslieder, die aber so konkret sind, dass da viel mehr als eine individuelle Liebesgeschichte drin steckt.

Es gibt auf dem Festival viel Spurensuche. Gibt es auch einen hoffnungsvollen Ausblick?
Die jungen Künstler, die etwa bei der Liederbestenliste auftreten, die beschäftigen sich weniger mit der Geschichte als mit der Gegenwart und artikulieren dazu ihre Standpunkte, ihre Haltungen zur Weltsituation. Es ist natürlich schwer zu sagen, was ein einzelner kleiner Liedermacher bewirken kann.

Kann man bei den aktuellen Künstlern eine Tendenz feststellen, zu bestimmten Themen oder auch zu einer bestimmten musikalischen oder sprachlichen Ausdrucksweise?
Wir können hier kein Abbild der Szene geben, dazu sind wir nicht in der Lage. Wir bemühen uns, verschiedene Musikrichtungen zu präsentieren. Das gelingt uns in unterschiedlichem Maße. So hatten wir in manchen Jahren viel Hip-Hop. Dass das in diesem Jahr bei uns nicht im Programm ist, sagt aber nichts über die Entwicklung des Genres aus.

Es gibt seit einigen Jahren ein internationales Folkrevival. Einige anglo-amerikanische Folk-Bands sind auch kommerziell erfolgreich. Und es gab den ebenfalls populären Film »Inside Llewyn Davis« über einen Folk-Musiker in New York. Dieses gesteigerte Interesse, können Sie das auch in Deutschland feststellen?
Dass der Film sich dieses Themas angenommen hat, ist schön. Und den Filmemachern war das auch sicherlich eine Herzenssache. Auch dass er so gut promotet wurde, ist positiv. Aber ich glaube, das ist kein Trend, sondern ein Einzelfall. Natürlich - wenn Pete Seeger stirbt, haben das mehrere Tageszeitungen auf der ersten Seite. Dieselben Zeitungen nehmen diese Musikszene ansonsten aber doch kaum zur Kenntnis.

Stichwort Pete Seegers. Werden Sie an die Ikone erinnern?
Das Programm war schon fertig, als er starb. Wir haben in den vergangenen Jahren mehrfach einen sehr schönen Dokumentarfilm über ihn gezeigt. Der würde jetzt natürlich wunderbar passen. Wir werden aber eine kleine Fotoausstellung im Foyer der WABE machen, mit Aufnahmen von Pete Seeger, die gemacht wurden, als er hier bei uns war.

Bald jährt sich der Mauerfall zum 25. Mal. Das schlägt sich beim Festival unter anderem in der aufgezeichneten Künstler-Gesprächsrunde »Verlorene Lieder - Verlorene Zeiten« von 1989 nieder - ein Dokument voll hoffnungsvollem Aufbruch. Es gab wenige historische Konstellationen, in denen Künstler solchen Einfluss hatten wie in der späten DDR. Ein ähnliches Gespräch fand 1991 aber in erheblich abgekühlter Atmosphäre statt. War dieser Stimmungsumschwung zwangsläufig? Ist er Zeugnis einer Entsolidarisierung?
Wie zwingend die Entwicklung war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Klar ist, 1989 haben Künstler und Musiker eine so enorme Rolle gespielt wie selten. Und es ist kaum anzunehmen, dass so etwas noch einmal passiert. Es war eine außerordentliche Situation - und Musiker hatten eine Ersatzfunktion. Allmählich kam eine Öffentlichkeit zustande. Liedermacher hatten schon in den 80er Jahren in der DDR eine große Rolle gespielt, und haben Dinge, die in den Medien nicht stattfanden, in Konzerten verhandelt. 1990/91 zeigte sich dann aber die ganze Aufspaltung und Differenzierung, die unterschiedlichen Erwartungen und die Enttäuschung derer, die in eine andere Richtung gehen wollten. Da brach auch etwas auseinander. Viele die zeitweilig sehr eng miteinander koaliert haben, fanden sich plötzlich an unterschiedlichen Stellen wieder. Teilweise bekriegte man sich regelrecht. Ich bin gespannt, was sich in unserer Diskussion unter Friedrich Schorlemmers Leitung da so zeigen wird.

Bei der Berlinale wurde gerade eine neue Dokumentation über Sascha Anderson, der die DDR-Literaturszene bespitzelt hatte, gezeigt. Hat dieser Fall auch die Musikszene beeinflusst? Gab es dort einen ähnlichen Fall?
Sascha Anderson war Anfang der 70er Jahre selbst mit einem Bein in der Singeszene. Es gibt sogar ein paar Lieder, die er für einen Singeklub in Dresden geschrieben hat. Natürlich hat die Staatssicherheit auch in der Musikszene ihre Fühler ausgestreckt, weil da viel DDR-Kritik artikuliert wurde. Es gab aber auch Fälle, da haben Künstler ihre Kooperations-Bereitschaft erklärt - und sind dann selber ins Visier der Staatssicherheit geraten.

Es gibt auch eine Gesprächsrunde zu »übertriebenem« Urheberrecht - Stichwort »Abmahn-Abzocke«. Aber sind Musiker nicht auf das Urheberrecht angewiesen?
Doch natürlich sind sie das. In dem Gespräch geht es auch weniger um das theoretische Urheberrecht insgesamt, als um Auswüchse. Hier geht es ganz praktisch darum, dass Musiker abgemahnt worden sind, weil sie Presseberichte über ihre eigenen Konzerte auf ihre Websites gestellt haben.

Wie schlägt sich der Fokus auf die Geschichte noch im Festival-Programm nieder?
Zum Beispiel bei dem Schwerpunkt »Liederspuren«. Das ist ein ganzes Paket, dazu haben wir auch eine Ausstellung gemacht: »Lieder und Leute. DDR 1964-1990«. Da haben wir eine Chronologie der Entwicklung seit den 60er Jahren bis 1990 zusammengestellt. Damit beschäftigen wir uns als Verein schon lange. Aber jetzt haben wir erstmals richtig aufbereitet, was wir da an Material und an Informationen zusammengetragen haben. Dazu gehört auch eine Filmretrospektive mit einem DEFA-Film und Ausschnitten aus Sendungen des DDR-Fernsehens von Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Außerdem ist ein Konzert mit verschiedenen Künstlern geplant, die alle eine DDR-Biografie haben - bis auf den Erich-Fried-Chor: Das sind ganz junge Leute, für die ist das wirklich nur Geschichte.

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