Gericht: NPD-Provokation am 27. Januar ist zu ertragen

Das Bundesverwaltungsgericht erhöht die Schwelle für ein Verbot rechtsextremistischer Aufmärsche an Gedenktagen gegen den Faschismus

  • Sven Eichstädt, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.
Neonaziaufmärsche an Gedenktagen gegen den Faschismus? Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass dies allein mit dem Hinweis auf das Anliegen des Gedenktages nicht zu verbieten ist.

Überraschendes Urteil in Leipzig: Versammlungen rechtsextremer Organisationen an Gedenktagen wie dem Holocaust-Gedenktag lassen sich ab sofort nur noch in Ausnahmefällen mit Auflagen versehen oder verbieten. Grund dafür ist ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts am Mittwoch. Der Vorsitzende Richter des sechsten Senats, Werner Neumann, urteilte, Auflagen oder ein Verbot könnten nur erfolgen, wenn »von der konkreten Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen würden, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigten« (Aktenzeichen: BVerwG 6 C 1.13). »Eine solche Feststellung setzt voraus, dass die Versammlung eine den Umständen nach eindeutige Stoßrichtung gegen das Gedenken erkennen lässt, etwa weil sie die Sinnhaftigkeit oder die Wertigkeit des Gedenkens negiert oder in anderer Weise dem Anspruch der Mitbürger entgegenwirkt, sich ungestört dem Gedenken an diesem Tag widmen zu können.«

Nach der Entscheidung des obersten deutschen Verwaltungsgerichts reicht es für Behörden nicht aus, die Demonstration einer rechtsextremen Partei etwa für den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar allein mit Verweis auf diesen Tag mit einer Auflage zu versehen. Kommunen hatten bisher unter Verweis auf das Versammlungsgesetz mit Auflagen oder Verboten agiert, wenn »die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist«. Das Bundesverwaltungsgericht legte das Versammlungsrecht anders aus: Danach ist es »nicht ausreichend, dass die Durchführung der Versammlung an dem Gedenktag in irgendeinem beliebigen Sinne als dem Gedenken zuwiderlaufend beurteilt werden könnte«.

Anlass für die Leipziger Grundsatzentscheidung war die Klage der NPD in Trier gegen eine Entscheidung der Stadt, die eine für den 27. Januar 2012 angemeldete Demonstration auf den Folgetag verschoben hatte. Die Trierer Stadtverwaltung hatte die Auflage damit begründet, dass sie die am Holocaust-Gedenktag geplante NPD-Versammlung als »Provokation« bewerte, »durch die grundlegende soziale und ethische Anschauungen und Empfindungen verletzt werden«. Während sich das Verwaltungsgericht Trier im Juli 2012 und das Oberverwaltungsgericht Koblenz im Dezember 2012 der Sicht der Kommune angeschlossen hatten, stuften die Bundesrichter nun die Entscheidung überraschend als rechtswidrig ein.

Der Trierer NPD-Vorsitzende Safet Babic verwies in Leipzig auf das Motto der von ihm angemeldeten Versammlung, das nicht im Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag stehe: »Von der Finanz- zur Eurokrise - zurück zur D-Mark heißt unsere Devise«. Das Oberverwaltungsgericht hatte noch angenommen, das Motto sei nur »als Aufhänger« gewählt worden, während die dahinter stehende Motivation »von der Bevölkerung darin gesehen worden wäre, an einem zentralen Ort in der Innenstadt Präsenz zu zeigen und nach außen zu dokumentieren, dass man als rechtsextreme Partei trotz des Holocaust-Gedenktags Flagge zeigen« könne.

Dieser Rechtsauffassung widersprach der sechste Senat. Hierfür lägen »keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor«. Der Vorsitzende Richter Neumann hatte schon während der Verhandlung klargemacht, »Mutmaßungen und Spekulationen über wirkliche Motive« dürften nicht herangezogen werden, und das Thema der NPD-Versammlung reiche nicht aus, um darin eine Provokation zu sehen.

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