Nicht ohne geistigen Beistand

Hermann Simon erinnert an die Feldrabbiner im Ersten Weltkrieg

  • Lesedauer: 4 Min.

Dieses Buch von Hermann Simon, Direktor des Centrum Judaicum in Berlin, und Kollegen ist zumindest in zweifacher Hinsicht von Neuwert. Es dokumentiert, dass deutsche Juden an allen Fronten des Ersten Weltkrieges kämpften und keinesfalls, wie spätere antisemitische Propaganda weismachen wollte, ihr »Vaterland« verrieten. Und belegt, dass Feldrabbiner in diesem ersten großen Krieg des 20. Jahrhunderts reichlich zu tun hatten und mitmenschlich sich nicht nur um Soldaten jüdischer Konfession oder Herkunft kümmerten.

Vorgestellt werden im ersten Teil die Lebenswege von 81 Feldrabbinern und Feldhilfsrabbinern und dabei auch Angaben über deren Familien. Im zweiten, umfangreicheren Teil des Bandes werden ausgewählte Schriftstücke aus deren Arbeitsalltag präsentiert, darunter Protokolle der Konferenzen jüdischer Seelsorger.

Wie ihre katholischen und evangelischen Amtsbrüder sahen sich jüdische Geistliche mit außergewöhnlichen Umständen konfrontiert, mit einem unfassbaren Grauen. Ihre wichtigste Aufgabe war es, den Kämpfenden Mut und Trost zu spenden, Verzweiflung und Entsetzen, Schmerz und Trauer zu mildern. Den Gottesdiensten kam inmitten des großen Menschenabschlachtens eine zentrale Rolle zu, ob im kleinen oder größeren Kreis. Besondere Aufmerksamkeit der Rabbiner galt den Verwundeten und Sterbenden auf Feldverbandsplätzen und in Lazaretten. Im Osten kam vielerorts noch als eine spezielle Aufgabe hinzu, den örtlichen jüdischen Gemeinden Unterstützung zu bieten.

Mehrere Dokumente belegen, wie sich der Schwerpunkt seelsorgerischer Tätigkeit im Verlauf des Krieges änderte. So ist hier ein ausführlicher Bericht an den Verband der deutschen Juden über einen Vortrag abgedruckt, den Feldrabbiner Leo Baerwald im Januar 1917 während seines Heimaturlaubs in Nürnberg hielt. Seine Beobachtung: Die Begeisterung der ersten Kriegsmonate war einer »gewissen seelischen Erlahmung« gewichen. In Baerwalds Bericht tauchen Worte auf, die man 1914 noch nicht kannte: Massengräber, Stellungskrieg, Fliegeralarm.

Jüdische Militärseelsorge war etwas völlig Neues. Und die Feldrabbiner taten alles, damit sie eine gesellschaftliche Normalität werde. Sie sollte auch in Friedenszeiten in den Streitkräften erlaubt sein. Von diesem Wunsch getragen war eine »Denkschrift« von 1917, entworfen von Feldrabbiner Aron Tänzer und ergänzt von Kollegen. Betont wird, dass viele jüdische Heeresangehörige »die erstmalig in Erscheinung tretende jüdische Feldseelsorge ... freudig und dankbar begrüßt« hätten, »weil sie in ihr den ersten Schritt zur Aufhebung der schmerzlich empfundenen Ausnahmestellung erblicken, die ihre Religion in der deutschen Heeresorganisation bisher eingenommen hat«. Die Denkschrift zielte auf die Anerkennung der deutschen Juden als gleichberechtigte Staatsbürger in einem speziellen Bereich. Indes: Die gesellschaftliche Atmosphäre in Deutschland war nach Kriegsende, in den Jahren der Weimarer Republik keineswegs judenfreundlicher; im Gegenteil, Antisemitismus trieb neue giftige Blüten. Vor allem die sogenannten Ostjuden bekamen dies bitter zu spüren.

Die Ankündigung von Kaiser Wilhelm II. zu Kriegsbeginn, er kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche, hatte sich rasch in nichts aufgelöst. Noch als die Schlachten tobten, mussten die Juden erfahren, dass sie weiterhin als Fremde angesehen wurden. Mitten im Krieg, im Oktober 1916, gab es von Amts wegen eine sogenannte Judenzählung, deren Ergebnisse allerdings nie veröffentlicht wurden - weil sie ein zu positives Bild von Patriotismus und Kampfbereitschaft deutscher Juden vermittelt hätten.

Zwanzig Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurde vom Reichspräsidenten Hindenburg ein »Ehrenkreuz für Frontkämpfer« gestiftet. Auch Isidor Tikotzki, der in Berlin-Mitte ein Wäschegeschäft betrieb, gehörte zu den Geehrten. Vier Jahre später, in der Pogromnacht von 1938, wurde sein Geschäft geplündert. Die Familie Tikotzki entkam dem Holocaust durch Flucht in die USA.

Sabine Hank/Hermann Simon/Uwe Hank: Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges. Hentrich & Hentrich. 622 S., geb.,48 €.

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