Erst der tote Flüchtling wird wahrgenommen

Ulrich Ladurner erzählt die große Geschichte der kleinen Insel Lampedusa

  • Arno Klönne
  • Lesedauer: 3 Min.

Lampedusa - war da nicht irgend etwas jetzt in der Hansestadt Hamburg? Hunderte Flüchtlinge aus Nordafrika, die seit Monaten für ein dauerhaftes Bleiberecht kämpfen. Lampedusa - eine geografische Angabe, die beim Publikum hiesiger Medien Schrecken auslöst, der durch Gewöhnung sich dämpft, zudem ist der Ort weit von uns entfernt. Wer es dabei nicht belassen will: Lampedusa, eine felsige Insel im Mittelmeer, zu Italien gehörig, aber der nordafrikanischen Küste nah, eine Station auf dem gefährlichen illegalen Weg von der Armut in das trotz aller eigenen Probleme reiche Europa. Ein Hoffnungsziel und doch immer wieder ein Platz, von dem über tödliches Scheitern berichtet wird, über ein Massengrab im Mittelmeer. »Der Flüchtling rückt als Toter in das europäische Bewusstsein, als Lebender ist er ein Gespenst«, schreibt Ulrich Ladurner, Autor des Buches, das hier vorgestellt wird.

Die Insel, heute einbezogen in FRONTEX, das Abwehrsystem der EU gegen Zuwanderung von Menschen aus den Elendszonen vor allem des Nahen Ostens und Afrikas, ist klein und wurde erst spät besiedelt, jedoch hat sie eine Geschichte, die aufschlussreich ist für die lange historische Tradition geopolitischer Gier und Brutalität, von den Zeiten religiös verbrämter Kriege um den Mittelmeerraum, dann des Slavenhandels und der etablierten Piraterie bis zum Kampf um maritime Stützpunkte im Zweiten Weltkrieg. Lampedusa war dabei immer ein Platz, um den herum der »feuchte Tod« seine Opfer forderte, die Moderne hat daran wenig geändert, nur soviel: Tourismus findet dort heutzutage dennoch statt, notwendig für die Inselbevölkerung, wovon auch sollte sie sonst leben.

Über die Geschichte und Gegenwart von Lampedusa berichtet Ladurner, ein Auslandsredakteur der »ZEIT«, in einem literarischen Reisebericht. Sein Buch steckt voll von historischen und poetischen Exkursen, die widersprüchlichen Gefühlswelten der Einheimischen auf der Insel werden mit Empathie geschildert, der Rolle der Politik des »Landestaates« Italien sind informativ-kritische Reflexionen gewidmet - so wie sie hier präsentiert ist, wünscht man sich »Auslandsreportage«.

Ladurners Sache ist es nicht, die gesellschaftlichen, gerade auch ökonomischen Interessen zu analysieren, in deren Zusammenhang Lampedusa zu deuten wäre, als Fluchtpunkt und nur zu oft als Stätte, an der Untergang von Menschen sich nur noch registrieren lässt. Aber sein Buch führt hin zu einem nicht mehr nur flüchtigen Blick auf die Realität europäischer Flüchtlingspolitik.

Er schreibt, in Brüssel arbeite »ein Heer von Bürokraten daran, ein immer engermaschiges Netz zu knüpfen und jeden Fluchtwinkel für Flüchtlinge zu schließen.« Beim Blick »von der Festungszinne Lampedusa« schaue man in »Zentren der Macht, die bevölkert sind von eigensüchtigen, rechthaberischen, kleinmütigen und kaltherzigen Figuren, die entweder nicht in der Lage sind zu begreifen, welchem Phänomen sie sich gegenübersehen, oder nicht willens sind, sich ihm ernsthaft zuzuwenden«.

Das mutet sehr moralisch an - kein Nachteil, sondern ein Vorzug dieses Buches. Den Administratoren von FRONTEX möchte man es zur Lektüre in die Hand geben. Ob sie es auch lesen werden?

Ulrich Ladurner: Lampedusa. Große Geschichte einer kleinen Insel. Residenz Verlag. 144 S., geb., 19,90 €.

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