»Sei verflucht, Scheißkrieg!«

Arkadi Babtschenko war bei den tschetschenischen Feldzügen dabei und findet keine Rechtfertigung für Gewalt

  • Karlheinz Kasper
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Arkadi Babtschenko Ende 2001 seine »Zehn Bilder vom Krieg« veröffentlichte, verlieh ihm das »Debüt«-Preiskomitee ein Sonderdiplom »Für den Mut in der Literatur«. In den liberalen russischen Medien hieß es, der Autor knüpfe mit seiner ideologiefreien Prosa über die Tschetschenienfeldzüge an die besten Traditionen jener Kriegsliteratur an, deren Wesensmerkmal die »Schützengrabenwahrheit« war. Diese hatte die offiziell verfemten Bücher von Viktor Nekrassow, Grigori Baklanow, Wassil Bykau und Viktor Astafjew über den Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion geprägt, nach der Intervention in Afghanistan auch Oleg Jermakows »Winter in Afghanistan« und Swetlana Alexijewitschs »Zinkjungen«. Die deutsche Presse war von den Rowohlt-Bänden »Die Farbe des Krieges« (2007) und »Ein guter Ort zum Sterben« (2009) begeistert. Sie verglich Babtschenko mit Remarque, lobte die Lakonie seiner Sprache, die atemberaubende visuelle Kraft, den scharfen Kontrast zwischen der Schönheit der Kaukasuslandschaft und der Brutalität des Krieges.

1977 in Moskau geboren, erlebte Babtschenko den Tschetschenienkrieg von 1996 als Wehrpflichtiger, schloss danach sein Jurastudium ab, kämpfte 1999 als Vertragssöldner gegen die »tschetschenischen Terroristen«, arbeitet seit 2000 als Journalist und gehört heute der politischen Protestbewegung an. In einem Interview mit der Zeitschrift »Snob« erklärte er: »Ohne Notwendigkeit habe ich nicht auf Menschen geschossen, keine nennenswerte Initiative gezeigt, Befehle nicht verweigert, die Nähe der Küche gesucht, die der Vorgesetzten gemieden, mir eine eigene Meinung erlaubt und manchmal nachgedacht.« Babtschenkos Prosa überzeugt durch die Aufrichtigkeit des Autors. In den meisten Erzählungen ist er als Ich-Erzähler dabei. In »Sommer 96« resümiert er: »In Tschetschenien ist unsere ganze Generation getötet worden.« Den Band »Die Farbe des Krieges« beschließt er mit den Worten: »Sei verflucht, Scheißkrieg!« In »Ein guter Ort zum Sterben« fragt sich der Protagonist, ein Alter Ego Babtschenkos: »Was tat er, der Moskauer, der dreiundzwanzigjährige russische Junge mit juristischer Hochschulbildung auf diesem fremden, überhaupt nicht russischen Feld, tausend Kilometer von zu Hause entfernt, in einem fremden Land?«

2008 nahm Babtschenko als Korrespondent der »Nowaja Gaseta« in Südossetien am Fünftagekrieg zwischen Georgien und Russland teil. Was er dort erlebte, schlug sich in dem Reportageband »Ein Tag wie ein Leben« nieder, der, mit geringen textlichen Unterschieden, 2012 in Moskau herauskam. Babtschenko fotografiert auf den Straßen von Zchinwali die zerstörten Häuser und die Toten. »Empfindungen? Absolut keine … Ich fotografiere … Wem nutzt das alles? Wozu?«

Erneut steckt er in einem seltsamen Krieg: »Ich, ein Russe, Veteran beider tschetschenischen Feldzüge, in Georgien, in Südossetien, in einem georgischen Dorf«, in einem »neuen kleinen, siegreichen Krieg«. Dabei sei völlig unklar, wer der Sieger sein wird - Medwedjew, Saakaschwili oder die NATO?

Waren die ersten Werke Babtschenkos fast ausnahmslos starke künstlerische Texte, enthält sein jüngstes Buch durchweg publizistische Beiträge aus der »Nowaja Gaseta« oder »Trud«. »Der Ermittler aus Abu-Ghraib« ist einem Amerikaner in den Mund gelegt, der 2004 in dem berüchtigten irakischen Gefängnis als Vernehmungsoffizier eingesetzt war, wo die Menschenrechte außer Kraft gesetzt wurden und Folter, Isolationshaft, Kälteschocks und andere »Stresspositionen« an der Tagesordnung waren.

In »Krieg und Trug« schildert Babtschenko einen Besuch in Mozdok, wo er 2000 als Soldat weilte. Jetzt gebe es dort geradlinige Asphaltwege, Grünanlagen, neue Kasernen, Kantinen, Klubs und Saunen, und dennoch habe sich, wenn man die »Wahnsinnskriminalität«, Sabotageakte, Attentate und Sprengfallenvorfälle betrachte, nichts verändert. Makaber wirkt in »Ich als Mahnruf« das Bild von drei Invaliden der Tschetschenienkriege an einer Moskauer Metrostation - »fünf Medaillen, sechs Krücken, zwei Prothesen und ein einziges Bein«.

In der Titelgeschichte »Ein Tag wie ein Leben« nennt Babtschenko den wichtigsten Unterschied zwischen den Tschetschenien- und den Afghanistan-Veteranen. Letztere seien »irgendwie ins Leben zurückgekehrt«, weil sie den Krieg damit rechtfertigen, dass sie für die Interessen ihres Landes gekämpft hätten, ganz gleich, ob man diese Interessen geopolitisch, mit der internationalen Solidarität oder der Präsenz in der Region zu begründen sucht. Die Tschetschenien-Veteranen hingegen fänden keine Rechtfertigung für den Krieg.

Die Folge sei »eine Generation von wütenden jungen Männern, durchdrungen vom Hass auf alles und jeden«. Mit Erschütterung liest man die drei letzten Beiträge über das menschenverachtende Regime in den Strafbataillonen, den Befehl Stalins von 1942, der den Rückzug der Roten Armee beenden sollte, und die Studie »Was kostet ein Soldat?« über die seltsame »Kriegsbuchhaltung« der russischen Armee von Peter dem Großen bis zum Tschetschenienkrieg.

Arkadi Babtschenko: Ein Tag wie ein Leben. Vom Krieg. A. d. Russ. v. Olaf Kühl. Rowohlt-Berlin. 265 S., geb., 19,95 €.

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