Wo querte Caesar den Rubikon?

Mythen und Legenden - amüsante Spurensuche rund um Rimini

  • Stephan Brünjes
  • Lesedauer: 5 Min.

Noch können wir zurück. Doch wenn wir diese kleine Brücke überschreiten, wird alles mit Waffen auszutragen sein.« Bedeutungsschwanger rief Julius Caesar diese Tageslosung im Morgennebel des 10. Januar 49 v. Chr. seinen Truppen am Nordufer des Flüsschens Rubikon zu. Behauptet jedenfalls Sueton, Caesars Biograf, der offenbar ein schlampiger Geograf gewesen ist. Kein Wort von ihm dazu, wo genau diese Brücke stand, über die Caesar nun sein Heer führte, von dort mit dem berühmten Satz »die Würfel sind gefallen« gen Rom zog, um den Widersacher Pompeius zu besiegen und erneut Konsul zu werden.

»Natürlich war's unsere Brücke«, sagt Enzo im »Cafe Centrale«. Darum ja der Würfelspruch am Brückenpfeiler, darum die übermannsgroße Caesar-Büste obendrauf. »Und darum natürlich der Name unseres Ortes: Savignano sul Rubicone.«, benannt nach dem Bächlein, das Caesar überschritt und dessen Name seitdem für unwiderrufliche Entscheidungen steht. »Ja klar, an unserer Brücke war's!«, schallt es mehrstimmig von der Theke des Cafés. Doch warum grinsen diese Campari-Genießer dabei so verschmitzt?

Vermutlich, weil sie an die schlitzohrigen Vorfahren dieser 17 Kilometer westlich von Rimini gelegenen Stadt denken. Ihr Motto: Wenn Geschichtsschreiber es nicht hinkriegen, schreiben wir eben selbst Geschichte. Besser noch: Wir lassen schreiben - von einem, dessen Tinte so schnell keiner wieder löscht: Mussolini! Der italienische Faschistenführer ließ sich in den frühen dreißiger Jahren auf dem Weg zu seiner Strandvilla oft über Savignanos Brücke kutschieren, erzählt Ex-Bürgermeister Alberto Casadei. Beim Espressostopp haben die Stadtoberen den Duce einfach mal gefragt, ob er ihren Bach namens Fiumicino nicht in Rubikon umbenennen könne. Da sich Mussolini schon länger für Südeuropas Neuzeit-Caesar hielt, taufte er den von ihm überquerten Fluss gern auf Rubicone - per Dekret vom 4. August 1933. Für die Stadtväter quasi ein Adelstitel, den sie flugs an den Namen der Stadt flanschten.

Bei der Tour durch Weinberge und Sonnenblumenfelder dieser lieblichen Gegend mit Toskanacharme, vorbei an grünen, mit Kastellen gekrönten Hügeln wird schnell klar, die Rubicone-Beute aus dem Mussolini-Handstreich ist den 17 000 Einwohnern Savignanos keineswegs sicher. Schon im Nachbarort Santarcangelo schütteln sie energisch den Kopf, sobald man in den bunten, belebten Kopfsteinpflastergassen die Flussfrage anspricht, etwa bei der Tourist-Information oder in Alfonso Marchis historischer Druckerei. Nein, nicht Savignanos Fiumicino, sondern Santarcangelos Uso sei der wahre Rubikon, sogar mit päpstlichem Segen von 1748. Signore Marchi hat Beweismaterial zur Hand, fischt einen großformatigen, historischen Atlas namens »Tabula Peutingeriana« hervor und weist siegessicher drauf hin, sie gehe nicht nur zurück auf antike Karten sondern stamme vom berühmten deutschen Mittelalter-Kartografen Peutinger - »hier, lesen Sie selbst!« Gesagt, getan: Darin findet sich ein Rubicone nah bei Santarcangelo, vor allem aber die Gebrauchsanweisung, der zufolge Flüsse in dieser Karte »nur in den seltensten Fällen mit ihrem tatsächlichen Verlauf auch nur annähernd übereinstimmen.«

Ein Flop, der im 15 Kilometer entfernten Calisese nicht passieren kann - dank Asterix. Ja, der kleine Lokalhistoriker Rino Zoffoli sieht dem Comic-Gallier ziemlich ähnlich und sprudelt beim Thema Rubikon los, als habe er zu viel vom Zaubertrank genippt: Der Ortsname Calisese setze sich aus callis (Pfad) und caesare zusammen: Cäsars Pfad - na klar. Nun ja, nicht eindeutig bewiesen sei das, murmelt Zoffoli in seinen Bart und schiebt gewitzt gleich Bedeutungs-variante Nummer zwei hinterher: calles caesae, also Pfade des Gemetzels. Eine der beiden Übersetzungen sei bestimmt richtig, meint Zoffoli. Immerhin gäbe es ja diese alte Volkssage von der Schlacht in römischer Zeit, die genau hier stattgefunden habe. Dazu noch Caliseses Kirche »San Martino«, erbaut etwa 800 n. Chr., die übrigens seitdem schon den Zusatz »Rubicone« trage »und nicht erst von Mussolinis Gnaden.«

Ja, dieser Coup der Konkurrenz sitzt tief, auch bei Zoffoli: »Unsere Caesar-Statue steht zwei Jahre länger als die in Savignano«, zischt er und führt in den Olivenhain an der Hauptstraße, zu einem Sockel mit pummeliger Plastik-Römerbüste, die eher aussieht wie Phil Collins in eine Toga gewandet. Gleich daneben das Flüsschen Urgon - natürlich der einzig wahre Rubikon. Jedenfalls wenn man hier im Ort fragt oder auf das Schild an der Brücke schaut.

Wer´s jetzt noch nicht glaubt, hinter der Kirche im Bürgerzentrum namens »Pro Rubicone« gibt's außer Espresso und Bier auch eine randvolle Vitrine mit Rino Zoffolis Beweisschriften, übersetzt ins Französische, Englische und Deutsche. Asterix hat vorgesorgt, falls die Rubikon-Frage eines Tages vor einem UN-Historiker-Tribunal verhandelt wird.

Höchste Zeit wär's ja, immerhin schwelt der Streit nun schon Jahrhunderte. Schuld daran sind - außer Cäsars nicht ganz ortsfestem Biografen - auch einheimische Bauern und emsige Wasserwirtschaftler. Sie verlegten den Flusslauf immer mal wieder, nachdem der Rubikon Felder überschwemmt und Saat vernichtet hatte. Irgendwann verloren die Landschaftsdesigner das Urstrombett aus den Augen. Nur Rubikons Quelle ist noch zu finden, nach einem strammen Fußmarsch vom Melonenpass aus, vorbei an XXL-Panorama-Aussichten. Ein paar unscheinbare Steine umrahmen den plätschernden Ursprung mitten im Wald, an einem Grillplatz. »Hier feiern wir jedes Jahr das Quellfest mit vielen Gemeinden aus der Region«, erzählt Rino Zoffoli. Savignano und Santarcangelo sind übrigens nicht eingeladen.

Allgemeine Infos zur Region Emilia-Romagna:

www.emiliaromagnaturismo.it/de

Deutschsprachige Touren durch die Rubicone-Dörfer und das Adria-Hinterland bietet Helga Schenk an. Gruppen bis 25 Personen pro Stunde 30 Euro, excl. Eintrittsgelder für Museen;. Tel.: (0039) 0541-939140, mobil 0039-333-7648989, E-Mail: hschenk@helgaschenk.eu

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