Die EU düngt an falscher Stelle

Barbara Lochbihler über Menschenhandel in der Europäischen Union als Folge einer Freizügigkeit in engen Grenzen

  • Lesedauer: 3 Min.

Sexuelle Ausbeutung, häusliche Sklaverei, Organentnahme – beim Menschenhandel geht es um schwerwiegende Verbrechen. Wer von dem kriminellen Geschäft vor allem betroffen ist, steht außer Frage: 68 Prozent der Opfer in der Europäischen Union sind Frauen, zwölf Prozent Mädchen, drei Prozent Jungen. Diese Zahlen veröffentlichte die EU im April 2013. Zwei Jahre vorher hatte sie Grundlagen für den Kampf gegen den Menschenhandel geschaffen: Mit einer gemeinsamen Richtlinie will man das Phänomen in den Griff bekommen.

Zu Recht stehen die Opfer im Vordergrund: Zeugenschutz, Prävention und die Einbindung der Zivilgesellschaft werden in der 2011 beschlossenen EU-Menschenhandelsrichtlinie groß geschrieben. Die Betroffenen sollen einen Aufenthaltstitel bekommen, unabhängig davon, ob sie bereit sind, in Strafverfahren gegen die Täter auszusagen. Auch ein Recht auf staatliche Entschädigung, Lohn- und Schadenersatz ist vorgesehen.

Das sind gute Ansätze. Doch die bisherigen Erfahrungen mit der EU-Sicherheitspolitik und die unermüdlichen Bemühungen, die Außengrenzen abzuschotten, machen skeptisch und vorsichtig. Potenziell Betroffene leiden schon jetzt unter Stigmatisierung. Etwa, wenn gezielt Menschen verfolgt werden, die wegen ihrer Hautfarbe oder anderen Merkmalen ethnischer Herkunft ins rassistische Raster von Fahndern passen. Es besteht die Gefahr, dass Strafverfolger Fehler der Terrorismusbekämpfung wiederholen, die zu schweren Menschenrechtsverletzungen führten.

Noch schwerer wiegt die Abschottungspolitik: Die EU führt ihre Initiativen gegen den Menschenhandel selbst ad absurdum, solange sie zugleich mit einer verfehlten Asyl- und Migrationspolitik dazu beiträgt, dass das verbrecherische Geschäft weiter blüht. Die Vereinten Nationen haben in ihrer Konvention gegen transnationale organisierte Kriminalität, die der EU-Richtlinie als Grundlage dient, eine Trennung vollzogen. Sie unterscheidet zwischen dem Handel von Personen zu ausbeuterischen Zwecken und dem Schmuggel von Menschen, um Grenzen zu überwinden. Die Europäer gehen jedoch nur einen Weg und verbauen zugleich den anderen mit allen Mitteln. Sie legen mit Blick auf den Handel einen Schwerpunkt auf den Opferschutz, kriminalisieren aber zugleich jene, die gezwungen sind, illegal in die EU einzureisen.

Das beginnt mit dem Eintritt selbst: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex und das Überwachungsprogramm Eurosur sorgen dafür, dass sich die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer ohne Menschenschmuggler kaum bewerkstelligen lässt. Und wer sich irregulär in der EU aufhält, muss sich auf kriminelle und menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse einlassen. Die vorgesehenen Erleichterungen für Opfer können diese Leute kaum in Anspruch nehmen. Wer würde schon freiwillig eine Abschiebung riskieren?

Diese falsche Politik setzt sich in der Binnenmigration fort. Fast zwei Drittel der 880 000 Menschen, die Opfer sexueller Ausbeutung, häuslicher Sklaverei und anderer Zwangsarbeit werden, stammen aus der EU. Die meisten aus Rumänien und Bulgarien, vor allem sind also Roma betroffen. Auch sie treibt der unsichere Aufenthaltsstatus in die Hände von Kriminellen, auch sie wenden sich kaum an die Strafverfolger, um keine Ausweisung zu riskieren. Zudem machen es die patriarchalen Strukturen der Clans und der omnipräsente Antiziganismus schwer, sich dem Milieu zu entziehen. Die EU stellt zwar Mittel für die Inklusion von Roma zur Verfügung, allerdings werden sie von den Mitgliedsstaaten unzureichend abgerufen. Es fehlt am Willen, die gesellschaftlichen Strukturen anzugehen, die den Menschenhandel erst ermöglichen.

Wir brauchen einen grundlegenden Wandel. Die Freizügigkeit innerhalb der EU darf nicht nur für den Warenverkehr, sondern muss für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger gelten. Über die europäischen Grenzen hinweg trifft das auch für alle zu, die in die EU flüchten oder einwandern wollen. Solange Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge kriminalisiert werden, bleiben sie ein Heer potenzieller Opfer für Ausbeutung. Deshalb muss die EU endlich Wege schaffen, auf denen Menschen legal einreisen können, um hier Asyl zu beantragen oder Arbeit zu suchen. Wer den Menschenhandel tatsächlich bekämpfen will, muss den Boden zerstören, auf dem das kriminelle Geschäft gedeiht. Die EU macht häufig das Gegenteil: Sie düngt ihn.

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