Wenn der Ozean sauer wird

IPCC-Autor Hans-Otto Pörtner: Klimawandel verändert das Leben in, an und von den Ozeanen

  • Lesedauer: 3 Min.
Mehr als 300 Wissenschaftler aus aller Welt haben als Hauptautoren zum zweiten Kapitel im neuen Weltklimabericht beigetragen, dessen Kurzfassung jetzt verabschiedet wurde. Einer der beiden Leitautoren des Kapitels »Ozeanische Systeme« im aktuellen Sachstandsbericht ist Hans-Otto Pörtner, Biologe am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Mit ihm sprach Ingrid Wenzl.

nd: In diesem Weltklimabericht werden die Ozeane erstmals gesondert behandelt. Welche neuen Erkenntnisse haben dazu geführt, ihnen mehr Bedeutung zuzumessen?
Pörtner: Die Ozeane bedecken etwa 70 Prozent der Erdoberfläche, sie liefern die Hälfte des vom Menschen verbrauchten Sauerstoffs und 20 Prozent des Proteins für über 1,5 Milliarden Menschen. Sie nehmen ein Viertel allen Kohlendioxids und über 90 Prozent der zusätzlichen Strahlungswärme auf. Beobachtungen zeigen, dass mittlerweile nahezu alle Ökosysteme vom Klimawandel betroffen sind - auch die der Ozeane.

Besonders spürbar ist die Erwärmung der obersten Schicht des Meereswassers: Einige Tiere passen sich an, indem sie polwärts ziehen.
Für die großräumige Verschiebung von Arten gibt es mittlerweile Beispiele aus vielen Regionen, vor allem natürlich dort, wo die Erwärmung deutlich ausfällt - wie in der südlichen Nordsee. Angestammte Arten wie der Kabeljau wandern ab, andere, wie Streifenbarben, kommen hinzu.

Auszüge aus dem neuen Weltklimabericht

Der am Montag vorgestellte Teil zwei des fünften Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPCC) befasst sich mit den Folgen des Klimawandels. Hier einige Auszüge:
»Die Folgen des Klimawandels sind heute schon besonders in den Ökosystemen aller Kontinente und der Ozeane, aber auch in Gesellschaft und Wirtschaft zu beobachten. So wurde nachgewiesen, dass der Wandel von marinen und terrestrischen Ökosystemen z. B. hinsichtlich des Vorkommens, der Zusammensetzung und des Verhaltens vieler Arten, durch den Klimawandel beschleunigt wird.

Der Klimawandel zeigt bereits negative Folgen für Gesellschaften: Z. B. wird die Nahrungsmittelerzeugung bisher insgesamt eher beeinträchtigt. Kürzlich beobachtete starke Preissteigerungen für Nahrungsmittel und Getreide zeigen, dass die Märkte in Produktionszentren schon gegenüber den derzeitigen Witterungsextremen empfindlich sind.«

Bei zunehmender Erwärmung sei mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen. »Die allergrößten Risiken tragen arme und sozial benachteiligte Gruppen. In ärmeren Gesellschaften kann dies den Verlust des Lebens bedeuten oder starke Beeinträchtigungen der Gesundheit, in reicheren Gesellschaften eher den Verlust von ökonomischen Werten. In vielen Regionen sind erhebliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit zu erwarten. Auch in Europa können Hitzewellen künftig zu größeren gesundheitlichen Problemen und erhöhter Sterblichkeit führen. Das Risiko von zusätzlichen Migrationsbewegungen und gewaltsamen Konflikten würde zunehmen. Ohne Anpassung können landwirtschaftliche Erträge von Weizen, Reis und Mais in tropischen und mittleren Breiten zurückgehen. Die Risiken für die Nahrungsmittelproduktion und -sicherheit sind beispielsweise in Afrika sowie Mittel- und Südamerika sehr hoch. In vielen Regionen ist mit Änderungen des Wasserkreislaufs durch veränderte Niederschläge sowie Eis- und Schneeschmelze zu rechnen. Dies hat Einfluss auf Wasserverfügbarkeit und -qualität, Hochwasserrisiko und Energiegewinnungspotenzial. Risiken durch Extremereignisse wie Starkniederschläge, Hitze- oder Trockenperioden werden künftig voraussichtlich zunehmen.« nd

 

Alle Arten sind mehr oder weniger auf die Temperaturfenster ihrer Klimazonen spezialisiert. Dies begründet ihre Empfindlichkeit gegen abweichende Temperaturen, aber auch warum sie in unterschiedlichem Maße verdriften. So werden die Artengemeinschaften auf dem Weg in hohe Breiten durchmischt und es entstehen neue Ökosysteme.

Gleichzeitig nehmen Zonen mit Sauerstoffmangel zu.
Wenn sich die oberste Wasserschicht erwärmt, dehnt sie sich aus und erhält eine andere Dichte. Dies führt zu einer zunehmenden Schichtung der Meere und einem geringeren Austausch an Gasen und Nährstoffen zwischen den Schichten. An der Grenzschicht zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser reichert sich abgesunkenes organisches Material an und wird von Mikroben zersetzt. Dadurch entsteht Sauerstoffmangel; dieser Prozess wird mit steigender Erwärmung verstärkt. Unterhalb dieser Schicht tragen großräumige Tiefenströmungen Sauerstoff ein, so dass sein Gehalt wieder steigt.

Als dritte einschneidende Entwicklung nennen Sie die Versauerung der Ozeane durch eine verstärkte Belastung durch CO2 aus der Atmosphäre. Wie wirkt sich diese bereits auf Korallen und andere Tiere aus?
Es gibt einige wenige Beispiele erster sichtbarer Effekte, wie Foraminiferen (Einzeller mit Kalkgehäuse) und Flügelschnecken mit schwächeren Schalen. Für andere Arten können wir sie bei ungebremster CO2-Emission in den nächsten Jahrzehnten erwarten. Wieder ist die Empfindlichkeit artspezifisch: Bei Warmwasser-Korallen und einigen Muscheln setzen die Effekte früher ein als bei Krebsen.

Und wie ist das Zusammenspiel der drei Faktoren? Sie sprechen da von einem »tödlichen Trio«.
Einige Arten reagieren durch die Versauerung empfindlicher auf hohe Extremtemperaturen. Dies wurde für Krebse gezeigt, aber auch für Korallen, die dadurch schon bei niedrigeren Temperaturen bleichen. Daran sieht man, wie fatal es für Arten werden kann, wenn die drei Faktoren zusammenkommen. Und mit zunehmender Erwärmung dehnen sich die Bereiche, in denen das so ist, aus.

Was bedeuten die Veränderungen für die Menschen, die am oder vom Meer leben?
Einige Länder werden durch die Verschiebung der Arten und Fischbestände besonders profitieren, vor allem in nördlichen Breiten. Andere Länder in niederen Breiten, die zudem oft nur regionale Fischerei betreiben können, werden geringere Erträge haben. Hier könnten Aquakulturen die entstehenden Defizite teilweise ausgleichen. Aber das erwartete Zusammenwirken der Faktoren und die skizzierten Auswirkungen legen es nahe, alles zu tun, um das Ausmaß des Klimawandels in Grenzen zu halten.

Wie könnte das gelingen?
Durch einen weitreichenden Schutz würden wir Ökosysteme und vielleicht auch einzelne Arten gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähiger machen. Dazu müssten die Meeresschutzgebiete ideal so angelegt sein, dass sie mit den zu schützenden, aber abwandernden Arten verlagert werden können. Aber ganz wichtig und vorrangig ist es, die Emissionen möglichst effizient und rasch zu drosseln.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal