Operation auf Rechnung

Umfrage zum Gesundheitssystem offeriert große Ängste

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Ärzte und Bevölkerung sind einer Umfrage zufolge zufrieden mit dem Gesundheitssystem. Für die Zukunft fürchten jedoch beide Gruppen eine negative Entwicklung, vor allem was die Kosten anbelangt.

79 Prozent der Bevölkerung bewerten die Gesundheitsversorgung positiv, 90 Prozent der Ärzte teilen diese Beurteilung - das Fazit der Demoskopen aus Allensbach, die im Auftrag des Finanzdienstleisters MLP Anfang des Jahres eine repräsentative Befragung durchführten, ist fast zu gut, um wahr zu sein. Vor allem, wenn man die gesundheitspolitischen Debatten der letzten Zeit Revue passieren lässt, in denen es um Skandale in der Organspende, Probleme mit Krankenhauskeimen, Ärztemangel, lange Wartezeiten und Pflegemängel ging. Alles vergessen, wenn die Interviewer ihre Fragen stellen, oder sind diese unliebsamen Themen eher Randerscheinungen?

Trotz optimistischer Beurteilung der Gesamtlage nennen sowohl Ärzte als auch Nutznießer der medizinischen Behandlung Probleme. 79 Prozent der Krankenhausärzte sehen die Therapiefreiheit aus Kostengründen eingeschränkt. 64 Prozent gaben an, Behandlungen deshalb schon einmal verschoben zu haben, 29 Prozent haben sie Patienten sogar vorenthalten. Vor allem in Saarland und in Niedersachsen erwarten über 60 Prozent der Klinikmediziner weitere Zuspitzungen oder gar Krankenhausschließungen. Eine deutliche Mehrheit erwartet in den nächsten zehn Jahren generelle Qualitätsverluste in der Versorgung und steigende Kosten.

Auch die Bevölkerung geht zu 60 Prozent davon aus, dass die Kassen in Zukunft nur noch eine medizinische Grundversorgung bezahlen werden und Patienten vieles, etwa Operationen, selbst bezahlen müssen. Hier hat die Kostenpropaganda der Politik und ihrer Lobbyisten unter den Herstellern und Krankenversicherern bereits gute Vorarbeit geleistet. Drei Viertel der Bevölkerung erwarten steigende Beiträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung, zwei Drittel noch mehr Zwei-Klassen-Medizin.

38 Prozent der gesetzlich Versicherten gaben an, in den letzten zwei Jahren mehrmals über drei Wochen auf einen Termin gewartet zu haben. Diese Zahl hat sich im Vergleich mit 2012 leicht erhöht. Übrigens mussten nur 15 Prozent der privat Versicherten so lange ausharren. Unzufriedenheit äußerten gesetzlich Versicherte mit den Wartezeiten in der Arztpraxis. 52 Prozent saßen hier trotz eines Termins mehrfach länger als eine Stunde, bei den Privatversicherten waren es nur 25 Prozent. Entsprechend groß ist die Zustimmung zu einer zentralen Terminvergabe.

Sorgen machen sich Ärzte und Bevölkerung über die Pflegesituation in den Krankenhäusern, Versicherte sehen überfordertes Personal, und die Ärzte glauben, der Personalmangel werde noch größer werden. »Die derzeitige Form der Krankenhausfinanzierung sorgt dafür, dass dasjenige Krankenhaus wirtschaftlich am erfolgreichsten ist, welches am meisten beim Personal kürzt und den meisten Druck auf die Beschäftigten ausübt«, kritisiert Harald Weinberg von der LINKEN im Bundestag die Krankenhauspolitik der Regierung.

Über ein Umfrageergebnis dürfte sich Auftraggeber MLP gefreut haben: Für eine »gute Sache« hält die Mehrzahl der Befragten »eine staatlich geförderte Zusatzversicherung für die Pflege«. Daraus machte der Report eine Zustimmung zum sogenannten Pflege-Bahr, einer mit läppischen fünf Euro bezuschussten Pflegeversicherung, die erst zu laufen begann, als sie die Versicherungsverkäufer mit anderen Angeboten verknüpften.

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