Vereint im Frust

Zehntausende Gewerkschafter forderten im EU-Viertel in Brüssel »ein soziales Europa«

  • Katharina Strobel, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
»Für einen neuen Weg für Europa - Investieren statt kaputtsparen« - unter diesem Motto rief der Europäische Gewerkschaftsbund zu einer Demonstration in Brüssel auf und erhielt große Zustimmung.

Mit einem Echo hallten die Botschaften der Demonstranten durch die Straßen der Brüsseler Innenstadt bis hinein ins EU-Viertel: auf Deutsch, Französisch, Niederländisch und Ungarisch und in vielen weiteren Sprachen. Mehrere zehntausend Demonstranten aus ganz Europa gingen am Freitag gegen Sparpolitik und Sozialabbau auf die Straßen. Während die Polizei der Agentur dpa die Teilnehmerzahl von 25 550 Menschen mitteilte, schrieb der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) von 50 000 Demonstranten. Bei Zusammenstößen mit der Polizei wurden laut dpa 27 Menschen verletzt.

Mit seiner knallgrünen Uniform der Polizeigewerkschaft stach Maik Springer aus der roten Flut der Demonstrierenden heraus. Die ganze Nacht war der 49-jährige Polizist aus Sachsen unterwegs, um sich mit Kollegen aus ganz Europa solidarisch zu zeigen. Zwar sei die Lage in Deutschland vergleichsweise gut, aber auch in seiner Polizeidirektion würden die Bedingungen zunehmend schlechter. Von 1500 Stellen sollen in den nächsten sieben Jahren 250 abgebaut werden. »Gemeinsam können wir etwas erreichen«, meinte der Sachse und begab sich zurück in den Zug.

Auch Judy Morse aus Antwerpen ging es um die Solidarität der Europäer und mehr Miteinander der Länder: »Wenn große Unternehmen unsere Regierungen unter Druck setzen und drohen, Jobs zu verlagern, müssen wir zusammenhalten und den Unternehmern die Stirn bieten.« Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise machen europäische Gewerkschaften gegen die Austeritätspolitik der Länder mobil. Ihrer Ansicht nach führt sie in eine weitaus größere Krise. »Die politisch verordnete Zwangsdiät für Beschäftigte und Staaten ruiniert Einkommen und Nachfrage, führt zum Zusammenbruch der lokalen Märkte und treibt den Kontinent immer tiefer in die Rezession«, heißt es beim DGB, der als Mitglied des Europäischen Gewerkschaftsbundesebenso zum Protest aufrief.

Angelo Di Didde hielt die Flagge für Italien hoch. »Bei uns werden immer mehr Leute in Halbtagsjobs gezwungen und haben begrenzte Arbeitsverträge. Der Schwarzmarkt boomt. Viele Arbeitnehmer halten sich durch Nebenjobs über Wasser«, sagte der 33-jährige Mailänder. Und seine Kollegin Luisa Ruggeri fügte hinzu: »Wir müssen immer mehr Arbeit in derselben Arbeitszeit erledigen und bekommen dafür weniger Gehalt.« Damit solle Schluss sein.

»Ohne uns geht es nicht«, stand auf einem der Tausenden Plakate, die die Demonstrierenden in Richtung der EU-Ländervertretungen, Finanz- und Bankenzentren sowie belgischer Regierung hielten. Der Verkehr in der belgischen Hauptstadt war lahm gelegt, in Brüssel bekamen die Menschen den Unmut der europäischen Gewerkschafter zu spüren.

»Wir sind die Wähler«, sagte Brigitta Zsura aus Ungarn, »wir können die künftige Richtung bestimmen.« Wenn nicht, stehe es schlecht um die Zukunft Europas. »Bei uns liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 29 Prozent. Die gut Qualifizierten verlassen das Land Richtung Westen, weil sie da besser bezahlt werden.«

»Die Zukunft«, so glaubt Rüdiger Stein, 39, Gewerkschaftssekretär aus Ludwigshafen, »können wir nur gemeinsam retten, wenn wir zusammenhalten und den EU-Skeptikern nicht das Feld überlassen.« Jetzt müsse da investiert werden, wo es am meisten mangele - im Süden Europas. Dort wurde bereits am Donnerstagabend protestiert. In Spanien demonstrierten Zehntausende Menschen in mehr als 50 Städten.

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