Roma in Europa: Millionenfach gehasst und ausgegrenzt

Internationaler Aktionstag soll für Schicksal von Europas größter Minderheit sensibilisieren

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Berlin. Von Amnesty International über Politiker verschiedener Parteien bis hin zum Europarat: Zum Internationalen Tag der Roma haben Menschenrechtler und politische Institutionen auf die alltägliche Diskriminierung von Roma in Europa aufmerksam gemacht.

Vielerorts in Europa würden Roma von der Polizei nicht ausreichend geschützt oder sogar Opfer von Polizeigewalt, kritisierte Amnesty International in einem Bericht. An manchen Orten in Europa müssten Roma in ständiger Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen oder Anschlägen leben, sagte die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Selmin Çaliskan, am Dienstag in Berlin. Etwa in Griechenland, Tschechien oder in Frankreich greife die Polizei bei Angriffen auf Roma vielfach nicht ein oder ermittle nicht ernsthaft gegen die Täter. Polizisten gingen selbst »mit exzessiver und rassistischer Gewalt« gegen Roma vor, teilte die Menschenrechtsorganisation in Berlin mit.

Die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, Selmin Caliskan, bezeichnete solche Fälle als »völlig inakzeptabel«. Zugleich forderte sie von der EU und ihren Mitgliedstaaten, dagegen etwas zu unternehmen. »Statt entschlossen der Gewalt und Diskriminierung entgegenzutreten, schüren viele europäische Politiker sogar den Glauben, Roma seien für ihre Ausgrenzung selbst verantwortlich.«Als Beispiel nannte Amnesty Frankreichs neuen Premierminister Manuel Valls, der vergangenes Jahr als Innenminister über Roma gesagt hatte: »Diese Leute haben einen Lebensstil, der sich von dem unsrigen extrem unterscheidet. Deshalb sollten sie nach Rumänien oder Bulgarien zurückkehren.«

Linke spricht von existenzbedrohlicher Diskriminierung

Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD), warnte vor »dramatischen« Folgen von Ausgrenzung - beispielsweise auf dem Wohnungsmarkt oder bei der Ausbildung. Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) kritisierte: »Leider müssen wir feststellen, dass auch Deutschland seine Hausaufgaben zur Teilhabe der Sinti und Roma längst noch nicht gemacht hat.«

Die Linkspartei kritisierte hingegen erneut die Pläne der Bundesregierung, Länder wie Bosnien und Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Roma, die von dort kommen, könnten so leichter wieder abgeschoben werden. Die Behörden ignorierten dabei die existenzbedrohliche Diskriminierung von Roma in diesen Ländern, sagte die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker forderte ein Bleiberecht für Roma-Kinder. Rund 5.000 in Deutschland geborene oder aufgewachsene Kinder seien derzeit in Deutschland von der Abschiebung in den Kosovo bedroht, teilte die Menschenrechtsorgansiation in Göttingen mit.

Die Minderheit, die auf die größte Ablehnung stößt

Auch der Europarat beklagte Benachteiligung von Sinti und Roma. Generalsekretär Thorbjörn Jagland würdigte in Straßburg die kulturellen Verdienste der Roma für Europa. Er betonte auch, dass der größte Teil der zehn Millionen Roma in Europa heute in Ghettos und in bitterer Armut lebe. Trotz der verschiedenen europäischen Hilfsprogramme gebe es nur schleppende Fortschritte. »Das Volk der Roma wird in den Medien, in der Politik und auf dem Arbeitsmarkt täglich diskriminiert«, sagte Jagland.

Einer repräsentativen Studie zufolge sind Sinti und Roma in Deutschland die Minderheit, die auf die größte Ablehnung stößt. In der Beliebtheit der einzelnen Gruppen rangierten Sinti und Roma hinter anderen Gruppen wie Juden und Asylbewerbern, sagte der Historiker und Vorurteilsforscher Wolfgang Benz bereits am Montag in Berlin. Benz stellte die ersten Ergebnisse einer großen Studie über Einstellungen gegenüber Sinti und Roma vor, die im September präsentiert werden soll.

Der Studie zufolge bringen 80 Prozent der Befragten Sinti und Roma mit dem Schlagwort Leistungsmissbrauch in Zusammenhang, 78 Prozent mit Kriminalitätsbekämpfung. 14 Prozent sprechen sich sogar für eine »gesonderte Unterbringung« aus. Als Historiker habe ihn zudem besonders schockiert, dass viele Deutsche nichts über die Geschichte der Sinti und Roma wüssten, sagte Benz. So ist laut der Umfrage rund jedem Fünften (19 Prozent) nicht bekannt, dass Sinti und Roma im Nationalsozialismus ermordet wurden. Besonders groß ist das Unwissen bei den 25- bis 34-Jährigen. Hier wusste ein Drittel nichts von der Verfolgung der Sinti und Roma.

Der Roma-Tag erinnert an die Gründung der Romani Union als erste weltweite Organisation der Volksgruppe am 8. April 1971. Agenturen/nd

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