Irritierender IPCC-Bericht, japanische Ökoenergieskepsis und eine Umfrage

Matthias Willenbacher über die Woche aus Klimarettersicht

  • Lesedauer: 4 Min.

klimaretter.info: Herr Willenbacher, der Weltklimarat IPCC hat seinen neuen Sachstandsbericht vorgelegt. Die Botschaft: Jetzt muss die Dekarbonisierung beginnen – und außerdem müssen der Atmosphäre Treibhausgase entzogen werden, um das Zwei-Grad-Ziel noch zu schaffen. Glauben Sie persönlich eigentlich noch daran, dass das gelingt?
Willenbacher: Noch können wir den Klimawandel stoppen. Viel Zeit bleibt uns allerdings nicht. Das stellt der IPCC-Report unmissverständlich klar. Wir müssen also jetzt umsteuern, jetzt wegkommen von der schmutzigen Kohleverstromung und jetzt den Ausbau von Wind- und Sonnenstrom weiter forcieren. Sonst ist es zu spät.

Bei einigen Vorschlägen des Weltklimarats kann ich aber leider nur den Kopf schütteln: Wie kann man ernsthaft ein Zurück zur Atomkraft fordern? Haben wir aus Fukushima nichts gelernt? Die Atomkraft ist nicht nur ethisch-moralisch, sondern auch wirtschaftlich am Ende! Trotz erheblicher Förderungen durch den Staat über Jahrzehnte und weiterer begünstigender Rahmenbedingungen hat sich die angeblich konkurrenzlos billige Atomenergie als absolut unwirtschaftlich erwiesen. Der Westdeutsche Rundfunk spricht völlig zu Recht von einem »Billionen-Dollar-Desaster«. In Deutschland ist die Atomkraft ohnehin politisch tot und damit keine Lösung für die anstehenden Herausforderungen.

Auch die sogenannte CCS-Technologie kann doch nicht ernsthaft gefordert werden! Das Verpressen von Kohlendioxid in Kavernen ist doch keine nachhaltige Lösung im Kampf gegen den Klimawandel. Ich hatte gehofft, wir hätten diese »Nach-mir-die-Sintflut«-Haltung bereits hinter uns gelassen. Leider hat der Weltklimarat mit seinem Vorpreschen zugunsten von CCS diese überholte Denkweise wieder salonfähig gemacht.

Im Kampf gegen den Klimawandel können weder Atomkraft noch fossile Energiequellen eine Lösung sein. Eine Lösung sind nur erneuerbare Energien. Statt weiter wie bisher von Klimagipfel zu Klimagipfel zu stolpern, sollte unsere Regierung entschlossenen Schrittes den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben. Wenn eine der größten Industrienationen die Energiewende erfolgreich umsetzt, werden andere Länder folgen – da bin ich mir absolut sicher. Dann können wir das Zwei-Grad-Ziel noch schaffen. Handeln wir weiter so zaghaft wie bisher, wird uns das mit Sicherheit nicht gelingen.

Japan will einen Teil seiner Atomkraftwerke wieder ans Netz nehmen und eventuell sogar neue Reaktoren bauen. Warum tut sich das Land so schwer mit einer Energiewende?
Die Japaner wollen noch nicht so recht daran glauben, dass auch in Industrieländern eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien möglich ist. Das ist teilweise verständlich. Japan hat ja erst nach dem Unglück in Fukushima angefangen, sich ernsthaft mit erneuerbaren Energien zu beschäftigen. Erst dann wurden ähnlich wie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz Tarife eingeführt, um den Ausbau zu fördern.

So ist es in Japan eben wie in Deutschland vor einigen Jahren: Man zweifelt, ob Sonne und Wind ein Industrieland versorgen können. Ich denke aber, dass sich diese Sichtweise bald ändern wird. Allein mich erreichten in den vergangenen Monaten zahlreiche Anfragen von japanischen Journalisten, die über die Energiewende in Deutschland berichten wollten. Man merkt deutlich: Japan schaut auf Deutschland. Im Grunde denken die Japaner: »Wenn Deutschland das schafft, dann schaffen wir das auch.« Denn die Voraussetzungen wie der Industrialisierungsgrad und die Bevölkerungszahl sind ähnlich.

Umso wichtiger ist es, dass wir die Energiewende hierzulange schaffen – und zwar so schnell, günstig und effizient wie möglich. Wir sind ein Vorbild für viele Länder. Es ist wichtig, dass wir unsere Vorbildfunktion ernst nehmen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Überrascht und gefreut, aber auch bestätigt hat mich das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage für das ZDF-Politbarometer. Nicht nur, dass eine überwältigende Mehrheit der Befragten einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien fordert. Die meisten Deutschen halten auch die bei der EEG-Reform beschlossenen Kürzungen bei der Ökostromförderung für falsch und kontraproduktiv. Und das trotz der monatelangen Kampagne zum Thema Strompreise, die angeblich wegen der Erneuerbaren explodiert sind.

Man sieht: Die Bürger sind offensichtlich schlauer und weitsichtiger als so mancher Politiker. Grund genug für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sich als wahre Volksvertreter zu erweisen und bei der anstehenden Beratung über das EEG im Parlament den Entwurf der Regierung an den entscheidenden Stellen im Sinne ihrer Wähler zu verändern. Nur so können sie verhindern, dass das Jahrhundertprojekt Energiewende ausgebremst wird und schlimmstenfalls sogar scheitert.

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