Hauptstadt der Laborratten

In Berlin müssen jährlich knapp eine halbe Million Tiere für die Forschung herhalten

  • Ulrike Leszczynski
  • Lesedauer: 3 Min.
In Berlin wächst die Zahl der Anträge für Tierversuche. Das liegt auch an dem Forschungsschwerpunkt Genetik. Leicht sei es nicht, eine Genehmigung zu bekommen, sagt die zuständige Behörde.

Die Zahl der Anträge für Tierversuche für neue wissenschaftliche Erkenntnisse ist in Berlin weiter gestiegen. »Wir haben jetzt rund 380 Anträge im Jahr, früher waren es 280«, sagte Tierarzt Gerhart Tetzlaff, der die Anträge im Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) prüft. Er geht davon aus, dass auch die Zahl der Versuchstiere weiter steigt. 2012 waren es rund 436 000, meistens Mäuse. 2013 werde diese Zahl voraussichtlich höher liegen, ergänzte Tetzlaff. Noch sei nicht alles zusammengerechnet. Hauptgrund für diese Entwicklung sei der hohe Anteil biomedizinischer und genetischer Forschung in der Hauptstadt. Bundesweit liege Berlin bei der Zahl der genehmigten Tierversuche mit an der Spitze.

Für Forscher sei es mit großem Aufwand verbunden, einen Tierversuch beim LAGeSo durchzubekommen, erklärte Tetzlaff. Drei Viertel aller Anträge gingen beim ersten Mal zurück. Denn die Behörde prüfe bis ins Detail, ob der Tierversuch für neue Erkenntnisse nötig ist und es keine Alternativmethoden gibt. Geprüft werde auch, ob der Wunsch der Wissenschaftler unangemessenes Leiden für Tiere bedeutet. 20 bis 50 Seiten umfassen die Anträge oft, häufig fordern die Behörden noch seitenlange Antworten nach. Am Ende würden rund fünf Prozent der Anträge abgelehnt.

Tierschützer üben dennoch scharfe Kritik. Am 26. April rufen sie in Berlin zu einer Großdemonstration gegen Tierversuche auf. Grund: Die Versuche müssten von deutschen Behörden genehmigt werden, wenn sie formal richtig begründet seien. Das verstoße gegen die EU-Tierschutzrichtlinie und müsse im deutschen Gesetz geändert werden. »Der Anstieg der Tierversuche ist nicht mehr zu rechtfertigen, denn für viele Versuche gibt es inzwischen Alternativmethoden«, sagt Wolfgang Apel, Präsident der Berliner Tierschutzvereins. Bundesweit seien rund drei Millionen Tiere oft qualvollen Versuchen ausgesetzt.

Rauchende Kaninchen für die Tabakforschung oder Kosmetiktests an Tieren sind allerdings schon lange verboten. Heute müssen Tierversuche nachweislich die einzige Möglichkeit sein, zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu kommen. Oder sie sind für die Medikamentenzulassung vorgeschrieben. In Berlin waren 2012 rund 427 600 Versuchstiere Mäuse und Ratten. Die Anzahl anderer Säugetiere lag deutlich darunter. Es gab zum Beispiel rund 1000 Schweine, 397 Kaninchen, 246 Hamster und 165 Affen. »Mäuse werden vor allem für genetische Untersuchungen verwendet«, erläutert Tetzlaff. Aus ihrem Genom lasse sich Erbgut besonders leicht herausnehmen - oder Fremdes in es einpflanzen. Erforscht würden die Mechanismen von Krankheiten, zum Beispiel bei Tumoren und Autoimmunreaktionen. Ehrgeiziges Ziel ist es oft, sie bereits auf Zellebene zu bekämpfen.

Den Aufwand eines Forschers für die Genehmigung eines Tierversuchs beschrieb Tetzlaff als eine Mischung aus »Examen und Steuererklärung«. Die Hürden lägen hoch. Beteiligt seien nicht nur die Tierschutzbeauftragten der Unis und Forschungsinstitute. In jedem Einzelfall werde darüber hinaus die Tierversuchskommission informiert. Ihr gehörten auch Tierschützer an. Ein Vetorecht hat die Kommission allerdings nicht - ihre Bedenken würden aber berücksichtigt und auch an den Antragsteller weitergeleitet. »Das ist mehr als ein zahnloser Tiger«, so der Tierarzt. Wer ohne Genehmigung Tierversuche macht und die Ergebnisse der Forschung veröffentlicht, muss mit einem Bußgeld von bis zu 25 000 Euro rechnen. Weiter geht die Strafe jedoch nicht. Es gibt kein Publikationsverbot. »Sonst wären die Tiere ja ganz umsonst gestorben«, meinte Tetzlaff.

Die wachsende Zahl der Ersatzmethoden könne Tierversuche nicht gänzlich überflüssig machen, ergänzte er. Häufig würden damit künstliche Gewebe untersucht - das ersetze aber nicht die Funktion eines komplexen Organismus. dpa

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