Russische Widerstandskämpfer in Nazideutschland

Neue Ausstellung erzählt das Schicksal von acht mutigen Antifaschisten

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Die sparsam mit Texten versehene Ausstellung zeigt verschiedene Objekte, darunter viele Bilder.
Die sparsam mit Texten versehene Ausstellung zeigt verschiedene Objekte, darunter viele Bilder.

Am Donnerstagabend werden vor dem Russischen Haus in der Berliner Friedrichstraße ukrainische Fahnen geschwenkt. Dazu kommt es immer wieder und manchmal wird den Besuchern des Kulturzentrums etwas nachgerufen. Mit ukrainischen Flaggen sind diese Deutschen auch zu den Jahrestagen des Sieges über den Hitlerfaschismus am sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park zur Stelle, wenn der russische Botschafter Sergej Netschajew dort auftaucht.

Zur Eröffnung einer Ausstellung im Russischen Haus am Donnerstagabend ist Netschajew angekündigt, kommt allerdings nicht. Zu Gast sind um 19 Uhr Personen aus dem Umfeld von Linke, DKP und BSW, die sich für das Thema interessieren: »Wenig bekannte Seiten des Widerstands. Russen im Dritten Reich gegen den Nationalsozialismus.«

Zwei Wissenschaftler

Vorgestellt werden fünf ausgewählte Fallbeispiele. Eins davon ist die Familie Timofejew-Resowski. Vater Nikolai und Mutter Jelena sind Wissenschaftler und 1925 an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch gekommen. Anders als Russen, die nach der Revolution von 1917 im Exil leben, sind sie sowjetische Staatsbürger, verweigern allerdings 1937 die von ihnen verlangte Heimkehr in die Heimat. Es ist das Jahr des großen stalinistischen Terrors. Sie können ihres Lebens deshalb nicht sicher sein.

Tatsächlich wird Nikolai nach dem Krieg verhaftet und in Moskau zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt, weil er angeblich mit den Faschisten kollaborierte. Er kommt aber als Spezialist schon 1947 wieder frei. 1992 wird er elf Jahre nach seinem Tod rehabilitiert. Der Schriftsteller Daniil Granin hat einen Roman über Nikolai geschrieben, der 1988 in deutscher Übersetzung in der DDR erschien. Ein Exemplar ist nun Teil der Ausstellung.

Die internationale Anerkennung, die ihre Forschung genießt, erlaubt den auf dem Gebiet der Genetik tätigen Wissenschaftlern Nikolai und Jelena, in Nazideutschland selbst dann auszuharren, als der Zweite Weltkrieg ausbricht. Sie helfen deutschen Juden, einem französischen KZ-Häftling, sowjetischen Kriegsgefangenen und osteuropäischen Zwangsarbeitern, die sie am Institut verstecken, denen sie falsche Papiere und eine Anstellung verschaffen. Ihr ältester Sohn Dimitri schließt sich einer Widerstandsgruppe an, die Flugblätter verteilt – und bezahlt dafür mit seinem Leben.

Ein Künstler

Die Ausstellung erzählt auch das Schicksal von Liana Berkowitz, die zum Widerstandsnetzwerk »Rote Kapelle« gehört und 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wird. Mit dem Leben davongekommen ist Alexander Neroslow, der 1914 als Sohn eines Reeders aus Sankt Petersburg zum Architekturstudium nach Dresden kommt und später zu den Gründern einer kommunistischen Künstlervereinigung gehört. Er und seine Frau Gertrud werden 1941 als Angehörige der Widerstandsgruppe Karl Stein und Genossen verraten und 1942 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Ausstellung zeigt die Kopie eines von Neroslow 1944 im Zuchthaus Waldheim gezeichneten Selbstbildnisses. Am 8. Mai 1945 wird er befreit. Von 1952 bis 1955 lehrt Neroslow an der Leipziger Kunsthochschule, lebt zuletzt als Maler auf der Halbinsel Darß. Im Russischen Haus ist eine Abschrift der Urkunde zu sehen, die zu dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze gehört, die Neroslow 1967 verliehen wird – »als Zeichen der Anerkennung hervorragender Verdienste im Kampf gegen den Faschismus und beim Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik«.

Die Geschichte der russischen Widerstandskämpfer in Nazideutschland sei wenig bekannt und nur fragmentarisch erforscht, sagt Pavel Izvolskiy, Direktor des Russischen Hauses. Viele Quellen dazu seien wissenschaftlich noch nicht erschlossen.

Eine offene Frage

Als Kurator betätigte sich der Kunsthistoriker Christian Hufen, der in Berlin und Moskau studierte. Als er im vergangenen Jahr angefragt wurde, habe er gerne zugesagt, erzählt Hufen. Seit 2022 scheinen die deutsch-russischen Kulturbeziehungen unterbrochen, beklagt der Kurator. Er selbst hatte beim Erarbeiten der Ausstellung seine Schwierigkeiten. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand habe eine Anfrage unbeantwortet gelassen, während Archive in Prag und Jerusalem behilflich gewesen seien, berichtet Hufen.

Erwähnung findet in der neuen Ausstellung auch Alexander Schmorell. Diesem 1943 ermordeten Weggefährten von Hans und Sophie Scholl ist ebenfalls zum 80. Jahrestag der Befreiung schon eine eigene kleine Ausstellung gewidmet, die bereits seit März vor dem Kino des Russischen Hauses zu sehen ist – allerdings nur noch bis Ende Oktober. Dagegen läuft die neue Ausstellung eine Etage höher bis Ende Juli 2026.

Ausstellung »Wenig bekannte Seiten des Widerstands. Russen im Dritten Reich gegen den Nationalsozialismus. Einige Geschichten unter vielen«, bis 31. Juli 2026, Russisches Haus, Friedrichstraße 176-179 in 10117 Berlin, Eintritt frei

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