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So wertvoll wie zwölf Reden

LINKE setzt auf Landräte - trotz enger politischer Spielräume und leerer Kassen

  • Hendrik Lasch, Wittenberg
  • Lesedauer: 4 Min.
Chefs von Kreisverwaltungen haben nur begrenzte Spielräume. Dennoch drängt auch Sachsen-Anhalts LINKE in die Landratsämter. Sie ist überzeugt, dass das den Bürgern nützt - und der Partei.

Wie viel ist ein Landrat wert? Die Frage ist nicht auf Heller und Pfennig zu beantworten. Dietmar Bartsch legt eine andere Latte an: Die Währung, die der Fraktionsvize der LINKEN im Bundestag vorschlägt, ist politische Aufmerksamkeit. Und in dieser Hinsicht haben die Chefs von Kreisverwaltungen viel in die Waagschale zu werfen. Landräte gehen bei Firmen und Feuerwehren ein und aus; sie übergeben Förderschecks an Schulen und Vereine, und »sie kümmern sich«. Ein Landrat, sagt Bartsch deshalb bei einer Matinee zum Wahlkampftauftakt der Linkspartei Sachsen-Anhalts in Wittenberg, sei für die LINKE »so viel wert wie zwölf Reden im Bundestag«.

Eins zu zwölf - diesen Wechselkurs wird mancher Genosse für überzogen halten. Im Bundestag lässt sich munter über Regierung und Kapitalismus wettern; in der Verwaltung sind Gesetze zu beachten, Verordnungen umzusetzen, Pflichtaufgaben zu erledigen. Das Füllhorn kommt selten zum Einsatz. In einem Etat von 217 Millionen, sagt Kornelia Wehlan, LINKE-Landrätin im brandenburgischen Landkreis Teltow-Fläming, könne sie ganze 2,5 Prozent für freiwillige Leistungen ausgeben. Und Jürgen Dannenberg, ihrem Amtskollegen im Landkreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt, standen nach der Amtsübernahme 2007 magere 17 600 Euro für Kultur zur Verfügung. Damit, sagt er nüchtern, »kann man überhaupt nichts machen«. Man kann nichts machen - das bringt es aus Sicht von Kritikern auf den Punkt. In der Partei, die gern über den Nutzen von Regierungsbeteiligungen streitet, glaubt mancher, dass der Chefposten in einer Kreisverwaltung der Partei eher schadet als nutzt. Der Landkreis Teltow-Fläming etwa ist zum Sparen verdonnert. Die Vorgaben kommen vom Innenministerium in Potsdam; umsetzen muss sie die Landrätin. »Das habe ich mir nicht ausgesucht«, räumt Wehlan ein.

Manchmal führt der Konflikt zwischen Zwängen des Amtes und politischen Zielen der Partei sogar zum Bruch: Lothar Finzelberg, der im Mai 2001 im Jerichower Land (Sachsen-Anhalt) das erste Landratsamt für die damaligen PDS eroberte, warf nicht zuletzt aufgrund von Konflikten mit deren Kreisfraktion zwei Jahre später das Parteibuch hin.

Dass es ein »widersprüchliches Verhältnis« zwischen Amtsinhabern und Partei gibt, räumt Bartsch ein. Darauf müsse sich letztere freilich einlassen, wenn sie sich nicht auf eine Rolle als »edle, aber kleine Opposition« beschränken wolle. Wird der Gestaltungsanspruch ernst genommen, müsse man auch Verwaltungen führen. Die Kür von Landräten sei dabei eine Art Königsdisziplin: Sie zeige, dass die LINKE »in der Fläche«, sprich: in eher konservativ geprägten ländlichen Regionen, mehrheitsfähig sei. Eine gewonnene Landratswahl, sagt Bartsch, »ist für mich immer noch eine Sensation«.

Dannenberg will das am 25. Mai zum zweiten Mal schaffen. Der 61-Jährige, der sich 2007 in der Stichwahl durchsetzte, ist nach sieben Jahren im Amt fest überzeugt, dass er nicht nur den Kreis gut verwaltet, sondern auch linke Politik betreibt. »Die Vorgaben sind streng«, räumt er ein, »aber es gibt Spielräume.« Hartz IV-Bezieher wurden von der Grundgebühr beim Abfall befreit, Flüchtlinge konnten aus einem abgelegenen Heim in Wohnblöcke umziehen; eine Sparkassenstiftung wurde gegründet, deren Zuschüsse den mageren Kulturetat aufbessern. Es gibt weitere Pläne: Dannenberg will Nahverkehr und Abfallentsorgung zumindest teilweise wieder in kommunale Hand überführen. Eine harte Nuss, räumt er ein, aber »ein Einstieg« könne gelingen. Auf punktuelle Erfolge verweisen auch Amtskolleginnen wie Michaele Sojka aus dem Altenburger Land. Der Landkreis in Thüringen soll als familienfreundlich zertifiziert werden - als erster Kreis bundesweit, sagt die 2012 gewählte Verwaltungschefin. Sie hält sich zudem zugute, die Ausbildung von Lehrlingen in der Kreisverwaltung durchgesetzt zu haben - gegen den Willen von CDU, SPD und FDP im Kreistag.

Für Wehlan, die seit 2013 amtiert, zählt es zu den Markenzeichen linker Landräte, dass sie Entscheidungen »transparent, offen und von unten« vorbereiteten. Derlei Politik werde sich auszahlen, ist Bartsch überzeugt - auch in Wählerstimmen für die Partei in den von ihr regierten Landkreisen: »Die werden besser, wenn wir den Landrat stellen«, sagt er, »da gehe ich jede Wette ein.« Ob sich der Wert eines Landrats auch in Prozenten beziffern lässt - die Nagelprobe dafür lässt sich ebenfalls Ende Mai in Wittenberg machen, wenn dort auch der Kreistag gewählt wird. Derzeit stellt die LINKE zehn Abgeordnete.

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