Nur die Regierung, aber mit Macht

Bodo Ramelow könnte in Thüringen erster Ministerpräsident der LINKEN in Deutschland werden

  • Esther Goldberg, Erfurt
  • Lesedauer: 7 Min.
Nach der letzten Landtagswahl entschied sich die SPD zur Koalition mit der CDU. Wenn am 14. September in Thüringen wieder gewählt wird, will die LINKE stärkste Kraft werden und die Regierung bestimmen.

»Die Macht kriegen wir ganz bestimmt nicht, nur die Regierung.« Bodo Ramelow verfällt gern in dieses Wortspiel. Er sitzt in seinem Büro in der dritten Etage des Abgeordnetengebäudes und referiert über den 14. September. An diesem Tag ist in Thüringen Landtagswahl. Die dritte, bei der sich der gebürtige Niedersachse um Regierungsbeteiligung seiner Partei bemüht. Und diesmal könnte es sogar mit einem waschechten Wahlsieg klappen. Die derzeit zweitstärkste Fraktion im Landtag könnte dann den Ministerpräsidenten stellen. Ein Linker in präsidialer Funktion. Der 58 Jahre alte Bodo Ramelow aus dem Norden. Westen wäre unkorrekt.

CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht unterstützt ihn derzeit ungewollt in diesem Wollen. In der Finanzaffäre um ihren Ex-Regierungssprecher Peter Zimmermann hat sie geschwiegen. So lange geschwiegen, dass man in Thüringen von einem Anfangsverdacht der Untreue sprach. Und da ist auch noch Jürgen Gnauck, Staatskanzleiminister. Die Querelen um seine beihilferechtliche Absicherung werfen ein zweifelhaftes Bild auf die Regierung, und sie schweigt erneut.

Bodo Ramelow verkneift sich jede Häme. Aber es reicht. Das müssen auch die Wähler sehen. Und diese tun es, wenn man einer von der Linkspartei in Auftrag gegebenen Umfrage und damit Prognose glaubt. Danach herrscht nun, da Lieberknecht angreifbar geworden ist, Wechselstimmung im Land. Denn auch die SPD, deren Mitglieder Ramelow Sozis nennt, ist kaum als eigenständige politische Kraft zu erkennen. Erfolge wie punktuelles längeres gemeinsames Lernen in der Schule und ein neues Kita-Gesetz werden in der Bevölkerung wenig oder kaum als eigenes Profil wahrgenommen.

Und das soll, das kann für einen ersten linken Ministerpräsidenten nach der Wahl reichen? »Zumindest bekommen wir auf diese Weise Wahlkampfhilfe«, lächelt der Mann selbstbewusst-fröhlich. Manche behaupten, er habe bereits ein präsidiales Auftreten. Quatsch, entgegnet er. Vielleicht ist es die sonore Stimme, die derzeit zufriedener klingen mag als in anderen Jahren. Er schwenkt gerade in den Wahlkampfmodus ein.

Termine bekommt bei ihm, wer Termine braucht. Sein Vorzimmer macht es möglich. »Die wissen, ob ich freie Stellen habe«, sagt Ramelow. Das klingt ein wenig leutselig, ist aber vor allem eines: Konzentration auf Wesentliches. Das Einrichten des Terminkalenders gehört nicht dazu.

Das Dienstzimmer von Bodo Ramelow erzählt Geschichten. Die von den hungerstreikenden Kumpels in Bischofferode 1993 zum Beispiel. Eine große gelbe Fahne der Bergleute liegt auf einer Art Kommode. Ramelow war damals bei den Bergleuten, als sie um ihre Arbeit kämpften. Und er hat auch jetzt wieder für sie gestritten. Diesmal ging es um die Veröffentlichung der damals geschlossenen Geheimverträge von Kali und Salz mit Treuhand und Bundesregierung, in deren Folge die Bischofferoder Gruben dichtmachten.

Auf derselben Kommode stehen Fotos. Ramelow mit Gregor Gysi und Ramelow mit dem Papst. Diese beiden Bilder standen schon in seinem Berliner Büro und haben für Erstaunen gesorgt. Ja, auch das mit Gysi. Weil es ein Schnappschuss ist, bei dem man glauben könnte, Ramelow begebe sich in die Hand des Fraktionsvorsitzenden. Solche Irritationen machen dem niedersächsischen Thüringer Politiker Spaß. Jeder weiß: Er ist kein Schoßhündchen. Es verursacht Irritationen, mit denen seine Partei gelernt hat zu leben.

Die Diskussionen wenigstens um seinen Glauben sind verebbt. Er ist Protestant und gut. Im vergangenen Jahr haben er und seine Frau in einer Waldenser Kirche in Italien geheiratet - sieben Jahre nach der standesamtlichen Trauung. Just am 7. Oktober hat er darüber in seinem öffentlichen Tagebuch geschrieben - Tag der DDR-Gründung. »Och, das war mir gar nicht bewusst«, grinst er. Dass er zudem den Segen Walter Homolkas (Rabbiner und Leiter des Geiger-Kollegs in Potsdam) bekam und einen alevitischen Schwiegersohn hat, macht seinen Glauben erst rund. »Irgendwie habe ich mit allen von Abraham abstammenden Religionen zu tun, das ist gut«, sagt der Linke.

Bodo Ramelow kommt auf Touren. Die Europa- und die Kommunalwahlen schwemmen seinen Terminkalender. Die Kommunalwahlen könnten bereits zeigen, wohin die LINKE gehen wird im September. Die linke Oberbürgermeisterin Katja Wolf in Eisenach hat im Rathaus keine eigene Mehrheit. Gleiches gilt für die Landrätin Birgit Keller in Nordhausen und für Petra Enders im Ilmkreis. Dorthin wird Ramelow überall reisen. Und auch an die Ostsee. »Na, halt dorthin, wo die Thüringer gern Urlaub machen.« Immer die Landtagswahlen im Blick. Sein Wahlkampf wird scharf, sagt er.

Scharf, aber nicht persönlich. Er will nicht den Menschen Christine Lieberknecht angreifen, sondern die Politikerin. Die zu wichtigen Dingen schweigt, Probleme aussitzt. Vor allem aber möchte er eine Alternative zu dieser Politik zeigen. Mehr Bildung, sagt er. Er weiß, wovon er redet. In seinen ersten neun Schuljahren hat er 14 Klassenlehrer erlebt und vier sogenannte Kurzschuljahre. Er will innerhalb der nächsten zehn Jahre 5000 Lehrer in Thüringen einstellen und alle Hoch- und Fachschulen in einen Verbund holen. Weniger Verwaltung, fordert er. Und das ohne jede Entlassung. Manchmal hat Überalterung auch Vorteile. »20 000 Thüringer Bedienstete gehen in den nächsten Jahren in Rente oder Pension«.

Bodo Ramelow hat Lust auf diesen Wahlkampf. Er wirkt in diesen Tagen, als sei er froh, auf Tour zu gehen, endlich auf Touren kommen zu dürfen. Diesmal soll ihm gelingen, was zweimal nicht geklappt hat. 2009 holte die LINKE 27,4 Prozent der Stimmen, Ramelow gewann auch noch ein Direktmandat. Diesmal sollen es noch mehr Stimmen werden. »Aber ich werde den Teufel tun, unsere eigene Prognose schon als Vorhersage zu nehmen«, holt er sich selbst aus allzu rosigen Träumen zurück. Aber deshalb muss er ja nicht gleich tief stapeln. Ja, er will regieren. Und er hat begonnen, eine eigene mögliche rot-rot-grüne Regierung zusammenzubauen. Die Gespräche mit der SPD und mit den Grünen laufen, obwohl noch gar nicht sicher ist, dass die Grünen den Sprung in den Landtag schaffen werden.

Heike Taubert, derzeit SPD-Sozialministerin in dem kleinen Bundesland, hat ihn Anfang des Jahres während einer Pressekonferenz als »Stubenkater« bezeichnet. Er lachte los, ging ins Erfurter Tierheim, lernte die Not des Tierheims und der freilaufenden Katzen kennen und startete am 12. Februar eine mündliche Anfrage ans Parlament, die als Sonderdrucksache Nummer eins in die Tagesordnung aufgenommen wurde. Diese Anfrage hat Bodo Ramelow auch noch eingerahmt und in seinem Büro unter Glas an die Wand gehängt. Heike Taubert hat hinlänglich Zeit, sich über diesen Patzer zu ärgern. Tatsächlich aber können die beiden miteinander, scheint es.

Ramelow gilt vielen nicht nur in Thüringen als einer der wenigen Politprofis. Vielleicht, weil eine Schwäche seine rhetorische Stärke hat wachsen lassen. Ramelow ist Legastheniker. Während andere die Buchstaben in der richtigen Reihenfolge zu einem Wort fügen, herrscht bei ihm Chaos. Also lernte er, sich wichtige Dinge zu merken. »Ich kann 20 Seiten Text aus dem Kopf holen«, sagt er. Wohl zum Leidwesen seiner Mitarbeiter, die diese Seiten dann zu Papier bringen müssen.

Doch der Politprofi erklärt sich nicht mit der Legasthenie. Die zeigt nur, dass auch Profis Schwächen haben dürfen, die ihnen nicht schaden. Vielleicht hat Ramelow einfach ausreichend Charakter, in der richtigen Stunde ehrlich zu sein. Als er 1990 nach Thüringen kam, damals baute er eine Gewerkschaft auf, kamen die Leute aus dem Kaufhaus heulend zu ihm. »Was sollen wir tun, die BGL ist weggelaufen?« Was soll Ramelow tun? Und was, zum Kuckuck, ist eine BGL? Er hat gefragt. Der Niedersachse kannte doch keine Betriebsgewerkschaftsleitung oder doch zumindest nicht diese Abkürzung. »Ich will verstehen«, sagt Ramelow. Es schadet nicht, etwas nicht zu wissen. Er kennt jetzt den Unterschied zwischen Plastik und Plaste, zwischen Inspektion und Durchsicht, zwischen Supermarkt und Kaufhalle.

Und den Unterschied zwischen Berlin und Erfurt. Hier, in der Landeshauptstadt, ist er angekommen. »Berlin ist eine schöne Stadt mit traumhaften Ecken. Aber Thüringen ist mir lieber«, sagt er nach vier Jahren Erfahrung in der Bundespolitik. Vielleicht haben sich auch die Bundespolitik und der thüringische Niedersachse nicht sonderlich gemocht. Bodo Ramelow stellt sich manchmal vor, was am 14. September nach 18 Uhr sein wird: »Ich will die Regierung.« Und das mit Macht.

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