Wieder keine Lösung für alle

LINKE kritisiert neuen Gesetzentwurf zu Ghettorenten

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.
Das novellierte Gesetz zu den »Ghettorenten« soll noch im Sommer in Kraft treten. Die LINKE fordert Änderungen am Entwurf: In Polen lebende Juden würden von den Zahlungen ausgeschlossen.

Das neue Gesetz zu den »Ghettorenten« müsse zügig umgesetzt werden, darin sind sich Regierung und Opposition im Bundestag einig. Es soll schließlich sicherstellen, dass künftig alle Ghetto-Arbeiter aus der NS-Zeit ihre Renten rückwirkend ab 1997 ausgezahlt bekommen, Fristen zur Antragsstellung sollen entfallen. Doch der vorliegende Entwurf, der morgen im Ausschuss für Arbeit und Soziales beraten wird, nimmt weiterhin heute in Polen lebende Juden von den Rentenzahlungen aus, obwohl sie in der NS-Zeit Beiträge in das deutsche Sozialversicherungssystem einzahlen mussten. Azize Tank, Sprecherin für Soziale Menschenrechte der Linksfraktion im Bundestag, erklärt dazu: »Es ist zynisch und skandalös, dass Jüdinnen und Juden mit Wohnsitz in Polen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in Ghettos unter deutscher Besatzung gearbeitet haben, weiterhin von Ghettorenten aus Deutschland ausgenommen sind.« Auch der neue Entwurf ändere nichts daran, was einen »eklatanten Bruch elementarer Grundsätze des Sozialversicherungssystems« darstelle, so Tank.

In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag beruft sich die Bundesregierung auf ein Abkommen zu Renten- und Unfallversicherungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen aus dem Jahr 1975: Danach würden Leistungen nach dem sogenannten Eingliederungs- und Integrationsprinzip gezahlt. Das bedeutet: Versicherungszeiten aus einem Vertragsstaat werden dabei in das System des anderen Vertragsstaates übernommen. »In Polen wohnhafte Personen mit deutschen Versicherungszeiten haben damit Anspruch auf eine Rente nach den polnischen Rechtsvorschriften, als hätten sie die deutschen Versicherungszeiten in Polen zurückgelegt«, heißt es in der Antwort aus dem Büro des Staatssekretärs Jörg Asmussen weiter. Dieses zwischenstaatliche Abkommen stehe über innerstaatlichem Recht. Für Personen, die am Stichtag 31.12.1990 ihren ständigen Wohnsitz in Polen hatten, sei als ausschließlich der polnische Versicherungsträger zuständig. Nach dem bisher geltenden »Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto« (ZBRG) zählen auch Beiträge aus der Ghettozeit dazu.

Für Azize Tank setzt die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD dabei auf eine »biologische Lösung der Problematik«: Anspruchsberechtigte Jüdinnen und Juden hätten bereits zehn Jahre auf die Novellierung des ZRBG-Gesetzes gewartet, nur um zu erfahren, dass sie von der Bundesregierung erneut nicht berücksichtigt wurden. Die Bewilligungsquote nach dem bisher geltenden Gesetz sei »skandalös niedrig«, das Bewilligungsverfahren nach wie vor intransparent und »offenbar darauf ausgelegt, so wenige Anträge auf Ghettorenten wie möglich zu positiv zu bescheiden«, beklagt Tack.

Am 30. April hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit dem polnischen Arbeitsministerium in Warschau erste Gespräche geführt, »um auszuloten ob und gegebenenfalls welche Möglichkeiten bestehen, Renten mit Zeiten nach dem ZRBG abweichend von den gegenwärtigen Regeln des Abkommenrechts an in Polen lebende ehemalige Ghettobeschäftigte zu zahlen«, wie es in einer Antwort des BMAS auf eine Frage von Tank im Bundestag am 7. Mai heißt. Ergebnisse gibt es bisher nicht: »Es wurde vereinbart, die Gespräche fortzusetzen.« Damit wurde die Problemlösung nach Ansicht von Tank in eine unbestimmte Zukunft verschoben.

Ein erstes Ghettorentengesetz wurde bereits 2002 beschlossen. Rund 90 Prozent der Anträge auf Renten nach dem Gesetz wurden jedoch aufgrund der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts abgelehnt.

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