Rätsel um Cyberkriminalität

Polizeiliche Statistik 2013 enthält 64 426 registrierte Fälle und viele offene Fragen

  • Uwe Sievers
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Bericht des Bundesinnenministers über Kriminalität im Internet, der am Mittwoch vorgestellt wird, zeugt von einer zunehmenden Zahl der Delikte. Schädlinge drangsalieren Computer-Nutzer.

»Zugriff verweigert« steht oftmals auf dem Bildschirm von denen, die allzu unvorsichtig auf unbekannte Links im Internet klicken. Die dabei installierte Schad-Software hat alle Daten auf der Festplatte des Computers verschlüsselt, nur leider den Schlüssel nicht verraten. Dafür vermeldet ein Hinweis, dass »gegen eine einmalige Gebühr« die gegen den Willen des Nutzers erfolgte Verschlüsselung rückgängig gemacht würde.

Ransom-Software werden die hinter diesen Erpressungsversuchen steckenden Programme genannt. Cybercrime-Ermittler beobachten solche Vorfälle immer häufiger. Inzwischen sind auch Smartphones davon betroffen: »Es gibt jetzt erste Erpressungs-Software für Android« erzählte Thomas Caspers vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI, unlängst beim LinuxTag dem »nd«. Solche Schadprogramme verschlüsselten die Daten des Speichersystems von Smartphones oder Tablets und erpressten Lösegeld für die Freigabe der Daten, erklärt Caspers, der beim BSI das Referat Sicherheit in Betriebssystem-Anwendungen leitet. Dahinter steckten vermutlich dieselben Cyber-Kriminellen, die auch für diese Schad-Software auf PC-Basis verantwortlich seien.

Ransom-Software ist jedoch nur ein Beispiel für die vielfältigen Methoden gut organisierter Gangster im Internet. Sie nutzen für ihre Aktivitäten ganze Netze aus gekaperten Computern ahnungsloser Anwender. Die wenigsten bemerken, dass auf ihrem Computer im Hintergrund noch ein ganz anderes Programm seinen Dienst verrichtet - zum Leidwesen anderer PC-Besitzer. Diese Botnetze bestehen oftmals aus mehreren Millionen fremdgesteuerten Rechnern.

Im vergangenen Jahr zählten die Fahnder 64 426 Fälle von Kriminalität mit »Informations- und Kommunikationstechnik«, berichtete am Dienstag die Tageszeitung »Die Welt« und berief sich auf die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2013, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Mittwoch vorstellen will. Die Kriminalität im Internet habe ein Rekordniveau erreicht, heißt es da. Auch der Minister zeigt sich auf der Webseite des Innenministeriums besorgt über die Nutzung des Internet durch Kriminelle: »Die zunehmende Bedrohung dieser Infrastrukturen durch Cyber-Kriminelle hat dazu geführt, dass die Bundesregierung das Thema IT-Sicherheit zur Chefsache erklärt hat.« Die polizeiliche Statistik weist für das vergangene Jahr jedoch lediglich einen Anstieg von 0,7 Prozent aus. Angesichts steigender Internetnutzung, insbesondere durch mobile Geräte, wirkt dieser Wert eher moderat. Hingegen lag der Anstieg im Vorjahr noch bei 7,5 Prozent und damit bei rund dem Zehnfachen. Da stellt sich die Frage, was das Wachstum gebremst hat.

Die Aufklärungsquote kann es nicht sein: Nach Angaben der »Welt« liegt diese geringer als im Vorjahr, nur jeder vierte Fall sei aufgeklärt worden. Fachleute gingen zudem davon aus, dass nur etwa zehn Prozent der Internet-Straftaten überhaupt gemeldet würden. Hinzu kommt laut André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, eine Dunkelziffer von 90 Prozent, denn da die Täter oft im Ausland säßen, würden ihre Verbrechen statistisch in Deutschland nicht erfasst, sagte er gegenüber der Springer-Zeitung.

Das aus der Statistik abgeleitete Bedrohungsszenario verkennt außerdem, dass hinter den Zahlen alle Straftaten stehen, die »unter Nutzung des Tatmittels Internet« begangen wurden. Dazu zählen neben illegalen Musik-Downloads von Teenagern auch Betrüger, die Waren im Internet bestellen, aber nicht bezahlen. Diese Täter sind zweifellos leichter zu ermitteln, als die organisierte Kriminalität hinter den großen Botnetzen. Innenminister de Maizière lässt auf der Website seines Ministeriums erklären, dass »die Gewährleistung von Sicherheit im Cyber-Raum und der Schutz der kritischen Informationsinfrastrukturen zur existenziellen Frage des 21. Jahrhunderts geworden« sei.

Die flächendeckende Ausspähung von Bürgern durch den US-Geheimdienst NSA sieht er wohl nicht als Bedrohung, denn für den Schutz der Bürger vor Überwachung hat er nicht viel getan. Zum Leidwesen der Datenschutzbeauftragten setzte er sich auch nicht sonderlich für den Schutz persönlicher Daten ein. Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der ersten Enthüllung durch den NSA-Whistleblower Edward Snowden legt er stattdessen eine Statistik voller Rätsel vor.

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