Spiel auf Zeit

Richard Linklater – der US-Regisseur ist Spezialist für Langzeitprojekte

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 2 Min.

Amerika wird erwachsen - im Kinofilm. Und kein Künstler hat den Reifeprozess der US-Jugend oder die Höhen und Tiefen einer »normalen« Ehe gründlicher und berührender für die Leinwand erforscht als der Regisseur Richard Linklater. Damit ist nicht nur die vorläufige Krönung seines Schaffens gemeint: die ungewöhnliche, aufwendige und fesselnde Langzeitstudie »Boyhood«, die heute in den Kinos startet. Die Themen Adoleszenz, Entwicklung, Verdrängung und Erinnerung faszinieren den US-Amerikaner seit seinem Durchbruch »Slackers« (»Herumtreiber«, 1991), diesem handlungslosen Low-Budget-Essay auf jugendliche Sehnsucht und scheinbar still stehende Zeit.

Jenes Spiel mit der Zeit beherrscht der 53-jährige filmische Autodidakt, der einige Jahre auf Ölplattformen arbeitete, in allen Facetten. 1993 reduzierte er die verstrichene Spanne in »Dazed and Confused«, einem weiteren jugendlichen Coming-of-Age-Drama, auf 24 Stunden. Das gleiche Prinzip wendete der 1960 in Texas Geborene in »Before Sunrise« (1995) an. Die für sich genommen durchschnittliche und dialoglastige Romanze entfaltete ihren Reiz durch zwei Nachfolger. Die ließ der Regisseur mit dem wohl längsten Atem Hollywoods mit gleichen Schauspielern und gleicher Rahmenhandlung im Zehn-Jahres-Rhythmus folgen. Diese Szenen einer US-Ehe als Langzeitstudie werden an Mut, Klugheit und Aufwand nur von »Boyhood« in den Schatten gestellt: Der Mittelschichts-Junge Mason wurde von Linklater über zwölf Jahre begleitet, von seiner Kindheit mit Wochenend-Papa und Patchworkfamilie bis zur Volljährigkeit.

Als Einflüsse gibt Linklater Robert Bresson, Yasujiro Ozu, Rainer Werner Fassbinder an, der »Traumfabrik« Hollywood ist er überdrüssig. Texas bleibt dagegen seine Heimat, Bescheidenheit sein Credo: Als 2011 ein Feuer Linklaters Skripte und Habseligkeiten vernichtete, war er (angeblich) nicht etwa traurig, sondern dankbar für diesen Wink des Himmels: »Ich wurde zu materialistisch«, soll er Freunden gesagt haben.

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