Umkämpfte Stromautobahnen

Nach jahrelangem Widerstand gegen aufgezwungene Stromtrassen gibt es in Katalonien auch kleine Erfolge

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.
In Bayern und Thüringen wird massiv gegen den Bau einer Stromtrasse gekämpft. Härter geht es in Spanien zur Sache. Dort hat die Bevölkerung zwar weniger Rechte, aber nun immerhin etwas erreicht.

Nach engagierten Aktionen auf der Straße ist in Deutschland relative Ruhe eingekehrt, der Protest geht seinen Gang durch die Institutionen: Ende Mai wurden im Bundeswirtschaftsministerium rund 130 000 Unterschriften gegen die Gleichstromtrasse Süd-Ost eingereicht, beim privaten Netzbetreiber sollen über 4000 förmliche Einwände eingegangen sein. Landesregierungen und Bundestagsabgeordnete lehnen die geplante Höchstspannungsleitung aus Sachsen-Anhalt bis in die Nähe von Augsburg ab. Im Nordosten Spaniens, im Bundesstaat Katalonien hingegen wird weiterhin ziviler Ungehorsam praktiziert: Am 12. Juni blockierten hier eine Handvoll Leute auf einem Strommast in 80 Meter Höhe einen ganzen Tag lang eine der in Bau befindlichen Verbindungen mit Frankreich.

In Deutschland soll die Gleichstromtrasse Süd-Ost nun wegen der zum Teil außergewöhnlich starken Proteste doch auf ihre Notwendigkeit überprüft werden. Nicht nur die bayerische Regierung, die der Leitung eigentlich längst zugestimmt hatte, auch Thüringens CDU-geführte Regierung hat dem Protest von Initiativen, Kommunen und Landräten auf Bundesebene Ausdruck verliehen. Viele Menschen haben mitbekommen, dass die Errichtung der Leitung Zielen dient, die ihnen sehr fern sind. So vermutete CSU-Landrat Hermann Hübner in einem Interview, bei dieser Trasse gehe es um eine Etappe für die von den Energiekonzernen geplante Stromautobahn von Litauen bis Portugal.

Genauer gesagt, geht es europaweit um viele »Stromautobahnen«. Ein ganzes Netz davon will die EU haben, damit Strom möglichst schnell über weite Strecken gehandelt werden kann. Gegen einen weiteren Abschnitt dieses Netzes gibt es seit Jahren Widerstand. In Katalonien haben die Kämpfe längst ein Ausmaß angenommen, das die jüngsten Proteste in Deutschland verblassen lässt.

Es sind Methoden, wie sie in Deutschland vor allem von Protesten gegen Atommülltransporte bekannt sind: So blockierten am 6. März zwei Menschen eine große Straße in der Stadt Girona mit einer Zementtonne, in der sie ihre Arme verkeilt haben. Noch spektakulärer die Aktion am 8. Januar: Ein Gegner der Höchstspannungsleitung hatte sich unterirdisch in einem Auto verbarrikadiert, als der Bautrupp der Stromnetzgesellschaft anrückte, um nur 17 Meter von einem bewohnten Haus entfernt das Fundament für einen Strommast zu legen. In das Auto war er durch eine selbst gebaute Röhre gekrochen, deren Zugang die Falltür eines Wohnmobils war. Internetvideos zeigen, wie der Aktivist das machte und wie seine Entfernung durch die Feuerwehr einen ganzen Tag dauerte.

Schon vor Jahren hatte in der nordkatalanischen Provinz Girona der Widerstand gegen eine MAT, wie das Akronym für Höchstspannung lautet, begonnen. Es gab Demonstrationen und eine Waldbesetzung. Die Kritik ist vielfältig. Die Umweltzerstörung und die nicht auszuschließende Möglichkeit von Gesundheitsgefährdungen in der näheren Umgebung der Leitungen sind Standardkritikpunkte, ebenso der Argwohn gegen die Profite von privaten Netzbetreibern und Stromkonzernen. In diesem Fall wird darüber hinaus moniert, dass die bestehenden, weniger leistungsfähigen Leitungen ausreichten, die neue Leitung durch Einflussnahmen lokaler Eliten einen unsinnigen Verlauf habe und dass die Bevölkerung nie in die Planungen einbezogen worden sei. Nach etlichen Jahren Wirtschaftskrise und folglich stark gesunkenem Strombedarf und nach dem ungeheuren Erstarken der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung ist mittlerweile auch der Ruf nach einem dezentraleren Energiesystem lauter geworden.

Doch all die Proteste und juristischen Klagen konnten die 400-Kilovolt-Leitung nicht verhindern. Als im vergangenen Jahr in der Provinz Girona das letzte Teilstück in Angriff genommen wurde, flammte der Widerstand wieder auf. »Seitdem wurden wichtige Fortschritte erzielt«, sagt Umweltaktivist Pablo Cotarelo. Vor allem sei das Thema über die Region hinaus bekannt geworden, meint der Ingenieur, der sich seit Jahren mit Spaniens Stromsystem beschäftigt.

Viele Kritiker sehen sich bestätigt, weil eine Abzweigung der MAT, die den Strom vor allem zur Hochgeschwindigkeitszugstrecke Barcelona-Paris bringen soll, aufgrund des Widerstands und nach Verhandlungen mit der Regionalregierung in Frage steht. Der Zug fährt schließlich auch so schon. Ein weiterer Erfolg der Proteste: Die Trasse nach Santa Coloma de Gramenet, einem Vorort von Barcelona, ist politisch blockiert. Auch die lokale Bürgermeisterin ist gegen den Bau der Umspannstation für die Leitung, die durch einen Naturpark führt. In der Provinz Lleida sind Dörfer samt Bürgermeister gegen die Planung einer MAT mobilisiert.

Doch einklagbare Mitspracherechte wie im angrenzenden Frankreich, wo die MAT auf Druck der Bevölkerung unterirdisch verlegt wurde, gibt es in Spanien nicht. Zwar mahnte EU-Kommissar Günter Oettinger Bürgerbeteiligung an, als er 2013 das Milliardenprogramm für das EU-weite Höchstspannungsnetz vorstellte, doch im Dorf Viladasens in der Provinz Girona haben nun die letzten Familien, die sich gegen ihre Enteignungen wehren, das Nachsehen: Der Rechtsstreit laufe noch, doch er halte die Bauarbeiten nicht auf, sagt der betroffene Albert Saus gegenüber »nd«. Ende des Jahres sollen alle Strommasten in der Provinz Girona errichtet sein. Laut Netzbetreiber soll der Strom ab Mitte 2015 fließen.

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