Der zweite Tod

Nachlassverwalterin in Hessen regelt digitales Erbe

  • Sebastian Stoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Frankfurt am Main. Es war einer der traurigsten Aufträge, den Birgit Aurelia Janetzky je hatte: Gerade einmal 15 Jahre alt war das Mädchen, als es Suizid beging, und allein im Internet hinterließ es etwa 30 geplatzte Träume. Oder genauer: 30 Mal denselben Traum. So viele Anmeldungen bei Model-Plattformen konnte Birgit Aurelia Janetzky ausfindig machen. Sie tat ihre Arbeit, löschte Foto um Foto des Mädchens, eine Plattform-Anmeldung nach der anderen. »Das ist so bei meiner Arbeit: Man sieht, wo Menschen Zeit verbringen, wo ihre Träume liegen«.

Birgit Aurelia Janetzky ist Nachlassverwalterin. Allerdings keine gewöhnliche, die Diplomtheologin kümmert sich um den digitalen Nachlass. Ob Anmeldung in sozialen Netzwerken, Charaktere in Online-Spielen oder auch nur Kundenprofile bei Online-Kaufhäusern: Sie alle hören mit dem Tod eines Menschen nicht auf, zu existieren. Meistens beginnt Janetzkys Arbeit mit einem simplen Rechner: Sie analysiert die darauf installierten Programme, knapp 250 Euro kostet das bei ihr. Danach hat sie meistens schon ein ganz gutes Bild: Sie weiß, in welchen Sozialen Netzwerken ein Mensch unterwegs war oder wo er eingekauft hat. Was dann passiert, entscheiden die Angehörigen. »Wir schauen auch immer: Gibt es einen digitalen Nachlass, der einen monetären Wert hat? Das kann zum Beispiel sein, wenn jemand einen guten Namen für eine Internetseite gefunden hat. Ich sage den Angehörigen dann immer: Nicht gleich kündigen, man kann ihn auch verkaufen.« Oft gebe es auch Online-Guthaben bei verschiedenen Plattformen, die sich in Geld transformieren ließen. Zum Erbe gehören auch Internetversteigerungen sowie gekaufte Software wie E-Books und Musik.

Der Bundesverband Verbraucherzentrale mahnt zur Vorsicht mit persönlichen Daten des Verstorbenen und rät davon ab, den kompletten Computer von digitalen Nachlassverwaltern analysieren zu lassen. Hilfreich könnten Unternehmen sein, die mit wenigen Daten wie Name und Anschrift die größten deutschen Online-Unternehmen anschreiben und prüfen, welche Verträge und Konten existierten. Diese könnten dann gekündigt oder übertragen werden. Janetzky verbringt die meiste Zeit mit Löschen. Und das kann richtig schwer sein. »Löschen geht nur über den Seitenbetreiber - und bei vielen Anbietern muss man dann feststellen, dass sie sich noch nie mit dem möglichen Tod ihrer Mitglieder auseinandergesetzt haben.« Meistens kommt Janetzky nur über den Postweg an die Profile der Verstorbenen - und das ist auch gut so: Seriöse Anbieter verlangen Nachweise, beispielsweise eine Kopie der Sterbeurkunde oder ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass der Nachlassverwalter auch als solcher handelt.

Eine gesetzliche Regelung dazu gibt es aber nicht: Wer wem was vorlegen muss, damit ein Profil aus dem Internet verschwindet, ist bislang nicht geklärt. »Hier stehen zwei Grundrechte gegeneinander. Einmal die Eigentumsgarantie, die Erben Zugriff gewähren sollte - und andererseits das Fernmeldegeheimnis. Was gilt, müsste der Gesetzgeber regeln«, sagt Peter Bräutigam aus der Arbeitsgemeinschaft Informationstechnologie im Deutschen Anwaltverein. Hilfreich könne es aber sein, wenn es ein sogenanntes digitales Testament gebe - nicht nur für den Anbieter, der nicht weiß, was er mit Daten machen soll, sondern auch für die Erben: Diese seien oft ebenso ahnungslos. »Es muss wie jedes Testament natürlich handschriftlich verfasst sein, regelt aber die Fragen über digitale Inhalte.« Nur wenige klärten das zu Lebzeiten. »Aber das wird in einigen Jahren ein großes Thema werden.« epd

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