»Der Traum der Afrikaner ist Afrika«

Ryad Assani-Razaki wehrt sich gegen eurozentrische Lesarten seines Romans »Iman«

  • Ruth Renée Reif
  • Lesedauer: 3 Min.
Die schwarzafrikanische Literatur sei sehr wahrhaftig, betont Nadine Gordimer. Das Romandebüt von Ryad Assani-Razaki bestätigt diese Aussage der Nobelpreisträgerin. Der Roman »Iman« erzählt von drei Straßenkindern in Afrika, deren Leben bestimmt wird von Hass und Verrat, Willkür und Gewalt, aber auch Freundschaft und Liebe. Mit dem Autor sprach Ruth Renée Reif.

nd: Herr Assani-Razaki, Ihr Roman trägt den Titel »Iman«, was der Name der Hauptfigur ist und zugleich Glaube bedeutet. Er beginnt damit, dass ein Vater sein Kind für 23 Euro verkauft. Woran soll man glauben in einer Welt, in der so etwas geschieht?
Assani-Razaki: Meine Antwort mag schockierend klingen. Aber für mich ist Ihre Lesart eurozentrisch. Eine andere Lesart wäre, dass die Eltern die Dienste ihres Kindes verkaufen. Das Kind wird arbeiten und der erste Lohn beträgt 23 Euro. Es handelt sich um Kinderarbeit. Und die ist weit verbreitet. In vielen Teilen der Welt dienen Kinder auch als Mittel, um die Familien zu ernähren.

Was verstört, ist die ungeheure Gewalt, zu der die Figuren ihres Romans sich immer wieder hinreißen lassen.
Ich möchte keine Klischees von Afrika als einem von Kriegen erschütterten Kontinent gewalttätiger schwarzer Männer verbreiten. Benin etwa ist ein sehr friedvolles Land mit einer langen politischen Stabilität. Mein Roman handelt von einer spezifischen Schicht der Gesellschaft. Ich erzähle von Kindern, die, ihrem Schicksal überlassen, in Armut auf der Straße zu überleben versuchen. In dieser Lage zeigt man wenig Empfindlichkeit gegenüber Gewalt, egal an welchem Platz in der Welt man sich befindet.

Der Protagonist Ihres Romans hat nur ein Ziel: Er möchte nach Europa. Aber Europa will die Afrikaner nicht. Wie empfindet man als Afrikaner diese Ablehnung?
Mir scheint, dass das neue Ziel jener Afrikaner, die sich außerhalb Afrikas niederlassen, darin besteht, den Afrikanern Perspektiven zu eröffnen, damit sie nicht mehr die Notwendigkeit empfinden, nach Europa zu gehen. Das bedeutet, Afrika als einen wirtschaftlichen Partner zu betrachten und nicht als einen für immer verschuldeten Bettler. Gelingen kann dies durch das steigende Bewusstsein für eine Welt, die größer ist als die Achse Europa-Afrika.

Aber bleibt Europa nicht dennoch der Traum vieler Afrikaner?
Der Traum der Afrikaner ist Afrika. Immer weniger Afrikaner der jungen Generation hegen den Plan, nach Europa zu gehen. Die wirtschaftlichen Mittel, um jenen afrikanischen Traum von Afrika Wirklichkeit werden zu lassen, liegen jedoch im Ausland. Was die Afrikaner in der heutigen mobilen Welt in Europa hält, sind die Verhältnisse: Familie und Arbeit. Das ist viel mehr ausschlagegebend, als der tatsächliche Wunsch zu bleiben.

Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal versteht seine Bücher nicht als Literatur, sondern als politischen Kampf. Wie verstehen Sie Ihr Schreiben?
Ich schreibe, um die Welt um mich herum zu verstehen. Ich bin ein Geschichtenerzähler. Ich maße mir nicht an, die Welt zu verändern. Wenn jedoch ein Leser in meinen Texten Elemente findet, die einen politischen Kampf entzünden und eine Veränderung zum Besseren in Gang bringen, fühle ich mich geehrt. Ich glaube nicht, dass Karl Marx die kubanische Regierung im Sinn hatte, als er das »Kommunistische Manifest« schrieb, aber es führte dazu.

»Iman« ist Ihr erster Roman. Welche weiteren literarischen Pläne haben Sie?
Ich erkunde verschiedene Wege. Aber am wichtigsten ist die Erkundung des Lebens. Es wird die Fragen für mein Schreiben aufwerfen.

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