Auch ohne Sprachtest nach Almanya

Europäischer Gerichtshof kassiert verpflichtende Deutschprüfungen für nachziehende Ehepartner aus der Türkei

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer einen Gatten in Deutschland hat und zu ihm ziehen will, der muss einen Test ablegen und so den »Nachweis einfacher Deutschkenntnisse« erbringen. So ist es seit 2007 Gesetz. Allerdings gilt das nicht für französische oder belgische Ehepaare, sondern für türkische. Doch offenbar gilt diese Verpflichtung zum Spracherwerb nicht mehr lange. Denn am Donnerstag hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden, dass Deutschland von türkischen Bürgern, die zu ihrem Ehepartner ziehen wollen, keinen Sprachtest mehr verlangen darf. Geklagt hatte eine Türkin, deren Antrag auf ein Visum von der deutschen Botschaft in Ankara mehrmals abgewiesen worden war, weil sie nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügte. Die Frau ist Analphabetin und wollte ihrem seit 1998 in Deutschland lebenden Ehemann folgen.

Die EuGH-Richter sahen in den verpflichtenden Sprachtests einen Verstoß gegen Abmachungen zwischen dem EU-Vorläufer Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei aus dem Jahre 1970. Damals vereinbarten beide Seiten eine »Stillhalteklausel«, wonach keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit eingeführt werden dürfen.

Die Luxemburger Richter räumten nun ein, dass das Recht auf freie Niederlassung durchaus eingeschränkt werden dürfe, jedoch nur, wenn es dafür einen »zwingenden Grund des Allgemeininteresses« gebe. Der fehlende Sprachnachweis führe »automatisch zur Ablehnung des Antrags auf Familienzusammenführung, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden«.

Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, kritisierte die Tests am Donnerstag als »eine nicht zu akzeptierende soziale Auslese«. Diese richte sich vor allem gegen sozial ausgegrenzte Menschen. Dagdelen verwies darauf, dass der Sprachtest in der Türkei im Jahre 2012 in 37 Prozent aller Fälle nicht bestanden worden sei.

Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, zeigte sich erfreut über das Urteil. Für die Integration der Einwanderer »wird der Wegfall des Zwangstests keine negative Auswirkung haben«, so die Staatsministerin.

Aber was wird in den Test eigentlich verlangt? Einfache Deutschkenntnisse auf der »Kompetenzstufe A1« umfassen »alltägliche Ausdrücke«, heißt es beim Bundesamt für Migration. Für ein Zertifikat müssen die Getesteten »ganz einfache Sätze verstehen und verwenden können«, also etwa »nach dem Weg fragen«. Zudem müssen die Prüflinge »ein wenig auf Deutsch schreiben können«. Eine unlösbare Aufgabe für die klagende Analphabetin.

Zuständig vor Ort ist das Goethe-Institut, das auch die Prüfungen abnimmt und Zertifikate ausstellt. Gegenüber »nd« bestätigt eine Beraterin des Instituts, dass man an drei Standorten in der Türkei - Ankara, Istanbul und Izmir - die Tests ablegen könne. Frauen aus den Ostprovinzen wie Kars oder Van müssten also mehrere hundert Kilometer fahren, um ihre Sprachkenntnisse nachzuweisen. Ein nicht ganz billiges Vergnügen. Allerdings betont die Beraterin, dass es »in der Türkei auch Prüfungspartner in anderen Städten gibt, die solche Tests anbieten«.

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