»Israel-Kritik ist oft antisemitisch«

Florian Flanz organisiert linken Protest gegen die Demonstration zum Al-Quds-Tag

  • Lesedauer: 4 Min.
Die vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppe »Quds-AG« des Berliner Vereins Islamische Gemeinde der Iraner in Berlin-Brandenburg veranstaltet am Freitag eine Demonstration in Berlin. Dagegen protestiert das Antifaschistische Berliner Bündnis gegen den Al-Quds-Tag. Mit Florian Flanz, Sprecher des Bündnisses, sprach für »neues deutschland« Paul Liszt.

nd: Herr Flanz, was ist der Al-Quds-Tag und warum sind Sie der Meinung, dass Antifaschisten unbedingt dagegen demonstrieren sollten?
Flanz: Der Al-Quds-Tag wurde 1979 vom damaligen iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini ins Leben gerufen. Quds ist der arabische Name für Jerusalem. Auf jährlichen Demonstrationen weltweit wird an diesem Tag die »Befreiung« von Jerusalem gefordert. Gemeint ist dabei die »Befreiung« Jerusalems von den »zionistischen Besatzern«. Die hauptsächlich islamistischen Gruppen, aber auch Verschwörungstheoretiker und immer wieder auch Neonazis und einige orthodoxe Linke, die unter anderem auch in Berlin auf die Straße gehen, gehen aber noch weiter. In letzter Konsequenz fordern sie die Zerstörung des gesamten jüdischen Staates. Somit ist der Al-Quds-Marsch die größte regelmäßige antisemitische Demonstration in Deutschland.

2010 hat ihr Bündnis erstmals eine explizit antifaschistische Demo gegen den Al-Quds-Tag organisiert. Was waren damals die Beweggründe sich zusammenzuschließen?
Wir haben uns gegründet, weil wir es für unbedingt notwendig hielten, Protest gegen diesen Aufmarsch aus einer linken Perspektive zu formulieren. Dies war aus unserer Sicht auf der eher »bürgerlichen« Gegenkundgebung, die es schon länger gibt, so nicht möglich. Außerdem wollten wir klar stellen, dass eine israelsolidarische Position sich entschieden von antimuslimischen Rassismus und rechtspopulistischen Ressentiments abgrenzen muss. Gleichzeitig sollte die Demonstration ein Signal in die Linke sein, das die Einsicht fördert, dass die sogenannte Israel-Kritik in der Praxis leider allzu oft mit Antisemitismus einhergeht. Die Grenzen sind hier fließend. Wir freuen uns daher, dass in diesem Jahr eine bundesweite Vernetzung zustande gekommen ist. So haben sich in diesem Jahr regionale antifaschistische Zusammenschlüsse aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen unserem Aufruf angeschlossen.

Was ist in diesem Jahr geplant?
Wir organisieren am Freitag wieder eine Kundgebung am Adenauerplatz. Unser Kundgebungsplatz liegt direkt gegenüber vom Auftaktort des Al-Quds-Marsches. Wir wollen dort möglichst vielen Menschen die Möglichkeit bieten, dem Antisemitismus, der Homophobie und dem Sexismus, für den die Organisatoren des Al-Quds Marsches stehen, etwas entgegenzusetzen. Anschließend besteht die Möglichkeit, sich der anderen Kundgebung am U-Bahnhof Uhlandstraße anzuschließen. Wenn sich Antifaschisten darüber hinaus entschließen sollten, ihren Protest direkt an der Route zu artikulieren, begrüßen wir das aber natürlich.

In diesen Tagen kam es am Rande von Pro-Palästina-Demonstrationen zu antisemitischen Ausschreitungen und Angriffen auf protestierende Antifaschisten. Wie schätzen Sie die Situation am Freitag ein?
Wir sind schockiert über die antisemitischen Ausfälle der letzten Tage. Es steht zu befürchten, dass sich die aktuelle Dynamik auch auf den Al-Quds-Marsch auswirken wird. Wir rechnen derzeit nicht nur mit einem deutlich stärkeren Zulauf auf Seiten dieses Marsches, sondern auch mit einer noch aggressiveren Stimmung als in den letzten Jahren. Wir hoffen natürlich, dass es nicht zu Übergriffen kommt. Aber wenn unter den bekannten Vorzeichen die erwähnten Gruppen gegen Israel auf die Straße gehen, ist leider immer mit antisemitischer Gewalt zu rechnen. Wir wollen uns an diesem Tag vor allem darauf konzentrieren, auf die reaktionären Inhalte dieser Demonstration aufmerksam zu machen. Wenn die aktuelle Entwicklung irgendwas Gutes hat, dann dass die politische Linke sich endlich einmal zum Thema positionieren muss. Wir haben in letzter Zeit viel positives Feedback bekommen. Wir freuen uns z.B., dass sich der Berliner Landesverband der LINKEN zu einer Unterstützung unserer Proteste durchringen konnte.

Berlins Polizei wurde wegen ihres zögerlichen Vorgehens bei Anti-Israel-Demos kritisiert. Haben Sie genaue Erwartungen an die Polizei?
Den Spielraum, den die Berliner Polizei bei den aktuellen Demonstrationen für antisemitische Äußerungen gelassen hat, halten wir für sehr gefährlich. Wir erwarten von der Polizei, dass sie beim Al-Quds-Marsch konsequent gegen antisemitische Parolen einschreitet und Übergriffe unterbindet. Außerdem erwarten wir, dass die Teilnehmer unserer Kundgebung sich ungehindert zur zweiten Kundgebung bewegen können. Das war in den letzten Jahren leider nicht immer gegeben. Der Polizeieinsatz wird sich auch an den Politikerappellen gegen Antisemitismus messen lassen müssen. Wir erwarten, dass die Polizei in dem Bewusstsein handelt, dass das Problem der Antisemitismus ist und nicht der antifaschistische Protest dagegen.

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