Zwischen allen Stühlen

Gerhard Engel hat das bewegte Leben des engagierten Journalisten Rudolf Franz nachgezeichnet

  • Kurt Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Literatur- und Theaterwissenschaftler, Schriftsteller, Bühnenkritiker, Feuilletonist - er war vielseitig interessiert, talentiert, engagiert: Dr. Rudolf Franz. Dauerhafte wie wechselnde Kontakte unterhielt er mit Alfred Kerr, Johann Knief, Anton Pannekoek, Karl Radek, Wilhelm Pieck, Franz Mehring, Hermann Duncker, Karl Kautsky, Martin Andersen Nexö und vielen anderen mehr. Es ist beeindruckend, mit welcher Akribie und Präzision Gerhard Engel den Lebensspuren eines in der Geschichtsschreibung über die deutsche Arbeiterbewegung vergessenen Mannes folgte und nachzeichnet. Dem Leser wird nicht nur eine beeindruckende Vita geboten, sondern das Panorama einer bewegten Zeit.

Geboren am 1. September 1882 in Köln, wurde Rudolf Franz als Student Mitglied der SPD und damit zum »schwarzen Schaf« der Familie. Sein nationalliberaler Vater war Gymnasialdirektor und Geheimrat, sein älterer Bruder Walther brachte es nach einer steilen Seeoffizierskarriere zum Vizeadmiral und Befehlshaber der Nordseeflotte. Rudolf Franz wählte einen anderen Weg. Seine Dissertation, die er Alfred Kerr widmete, befasste sich mit dem norwegischen Dramatiker Henrik Ibsen. Von Jugend an war er dem Feuilleton in all seinen Facetten. zugetan. »Ebenso reizte es ihn«, vermerkt Biograf Engel, »als Journalist und Publizist auf vielfältige Weise zur kulturellen Bildungsarbeit der Sozialdemokratie beizutragen und in die jeweils kulturtheoretischen und -politischen Debatten einzugreifen.« Besonders Mehring, den er 1907 kennenlernte, faszinierte ihn. »Unter den wenigen, zu denen man aufsehen konnte, war Franz Mehring. Ein Führer, ein Lehrer, ein Erzieher und trotz dem Altersunterschied von fast vierzig Jahren - ein Freund«, schrieb Franz.

1908 bot ihm Alfred Henke, Chefredakteur der »Bremer-Bürger-Zeitung«, die Schauspielkritik seines Blattes an; zwischen 1909 und Mai 1914 verfasste Franz ca. 400 Rezensionen. Während er vom Künstler wahre Kunst erwartete, sorgte er sich zugleich um die Befähigung des Arbeiterpublikums zum Kunstverständnis. Große Hoffnungen setzte er diesbezüglich auf die Volksbühnenbewegung und die Arbeiterbildungsausschüsse. Größere Resonanz erzielte Franz in- und außerhalb der Sozialdemokratie mit seiner scharfen Politsatire in Versen, Szenen und Prosa. Besonderes Aufsehen erregte die von ihm 1909 unter dem Pseudonym Siegfried Eckart veröffentlichte parodierenden Streitschrift »Warum ich kein Sozialdemokrat bin!« sowie seine Gedichtsammlung unter dem Titel »Abrechnung. Politische Versfußtritte« und »Die schönsten Märchen für die nationale Kinderwelt«. Franz setzte auf das Lachen als Waffe gegen bevormundende und knechtende Obrigkeit, ganz im Sinne von Friedrich Engels, der »jeden Witz über dies Pack« für wertvoll hielt.

In Bremen fühlte er sich wohler denn je, gab es doch hier Sozialdemokraten, »die statt der Partizipation an der bürgerlichen Gesellschaft deren Sturz verlangten«. Dort verfestigte sich denn auch seine oppositionelle Haltung gegen die revisionistischen und opportunistischen Tendenzen in der SPD-Führung. Sein tiefer Zorn darüber offenbarte sich u. a. in seiner Parteinahme für den russischen Marxisten Karl Radeck. Er hegte »Bewunderung für diesen einzig revolutionären Charakter von riesigen Dimensionen« und bekannte, »sehr froh« zu sein, ihn kennengelernt zu haben. Sein Fazit schließlich: »Es wird Zeit, die Partei zu spalten, sonst können anständige Menschen da nicht bleiben.« Und: »Es wird allmählich Parteipflicht, die Parteidisziplin zu brechen.«

Am 30. April 1914 schied Rudolf Franz aus der Bremer Redaktion aus und wurde zum 1. Juli 1914 Feuilletonredakteur im »Vorwärts«. In Berlin gehörte er bald dem Steglitzer »Eisbrecher«-Kreis um Mehring an. Nun stritt er gegen das Geschwafel des SPD-Parteivorstandes von »Vaterlandsverteidigung« und setzte auf Massenaktionen gegen den Krieg. Im Sommer 1915 selbst zum Militär beordert, seien - wie Ernst Meyer vermerkte - die »Eisbrecher«-Treffen »öde geworden«. Zwei Jahre später wurde Franz Mitglied der USPD.

Im Frühherbst 1918 ereilte ihn der Ruf der »Leipziger Volkszeitung«. »Die KPD in ihrer damaligen Gestalt war nicht nach meinem Geschmack«, bekannte er. Doch als die Redaktion der »LVZ« ihren Mitarbeitern eine antibolschewistische Erklärung als Voraussetzung für den Verbleib in der Redaktion vorlegte, verweigerte Franz seine Unterschrift und teilte am 18. November 1920 sein Ausscheiden mit. Als sich im Dezember 1920 die KPD mit der linken Mehrheit der USPD zur Vereinigen Kommunistischen Partei Deutschlands (VKPD) zusammenschloss, trat er ihr bei und gab ein Gastspiel als Feuilletonredakteur in der »Roten Fahne«, bevor er in die »Sächsische Arbeiter-Zeitung« wechselte. Aus dieser verdrängten ihn schließlich heftige Angriffen der Berliner Parteizentrale auf angeblich bürgerliche und antisowjetische Tendenzen des »SAZ«-Feuilletons. Damit endet die journalistische Laufbahn des Rudolf Franz.

Gerhard Engel gibt Einblick in die Probleme bei der Formierung der KPD im Allgemeinen und ihrer Presse im Besonderen. Sein Protagonist, der seit 1924 der Leipziger Stadtverordnetenversammlung angehörte, wurde Opfer einer innerparteilichen Intrige, die zu seinem Ausschluss am 18. November 1926 aus der KPD führte. Später erklärte Franz, den Bruch mit der KPD selbst herbeigeführt zu haben, da für ihn die Tätigkeit in der Presse der KPD »eine einzige ungeheuere Enttäuschung gewesen« sei. Er gab an, sich fortan als »parteiloser Marxist« zu fühlen, Parteien seien ihm nunmehr suspekt.

Nach der Befreiung von Faschismus gehörte Franz im Mai 1945 in Leipzig zu den »Aktivisten der ersten Stunde«. Und er trat nun doch wieder der Partei bei und erhielt eine Anstellung beim städtischen Kulturamt, konnte sich indes nicht vom Odium eines schon einmal ausgeschlossenen Parteimitgliedes befreien. Das letzte kulturelle und kulturpolitische Großereignis, das seine Handschrift trug, waren die Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag Johann Wolfgang von Goethes 1949 in Leipzig. Als sich die bürgerlichen Parteien über die von Franz vermittelte Festrede des Kommunisten Dunckers entrüsteten, wurde Franz zum Bauernopfer einer ihre Blockpolitik bedroht sehenden SED. Als Franz am 30. November entnervt bei der Stadt Leipzig kündigte, gab es weder Abschied noch Dank.

Noch zu Lebzeiten fielen seine Lebensleistungen unverdient dem Vergessen anheim. Als er am 25. Oktober 1956 in Leipzig verstarb, erschien kein Nachruf, keine Anzeige. Um so verdienstvoller ist diese Biografie, die Rudolf Franz, der auch auf keiner der im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig aufbewahrten Listen von »Veteranen der Arbeiterbewegung« oder »Aktivisten der ersten Stunde« verzeichnet ist, endlich den Platz in der Geschichtsschreibung gibt, der ihm gebührt.

Gerhard Engel: Dr. Rudolf Franz 1882 - 1956. Zwischen allen Stühlen - ein Leben in der Arbeiterbewegung. Edition Bodoni, Berlin. 206 S., geb., 18 €.

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