Von einem, der auszog, Bisons zu schützen

Warum sich ein Physiker aus Sachsen-Anhalt für den Schutz von Amerikas letzten wilden Büffeln engagiert

  • Annette Schneider-Solis
  • Lesedauer: 7 Min.
Über Jahrhunderte wurden Nordamerikas Büffel gnadenlos bejagt. Inzwischen wächst die Population wieder - auch dank einer internationalen Freiwilligenkampagne.

Fast eine Stunde sind sie gelaufen. Durch menschenleeres Grünland, vorbei an Büschen, Bäumen, am Ufer des Hebgen Lake, vor sich die schneebedeckten Berge der Rocky Mountains. Dann stehen sie plötzlich vor ihnen: wilde Bisons, Büffel, die Könige der Prärie. Friedlich grast die Herde, zwischen den gemütlichen Riesen mit dem dichten, zotteligen Fell hellbraune Kälber, erst wenige Tage alt. Kein anderes Tier verkörpert die Geschichte Nordamerikas so sehr wie der Bison.

Ihretwegen ist Peter Schmiedtchen in Montana. Zum dritten Mal. Der promovierte Physiker tut in seiner Freizeit viel für den Artenschutz. Zu Hause in Sachsen-Anhalt betreut er das Wolfsmonitoring der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe. Ein paar Mal hat er seinen Urlaub bei den Wölfen verbracht, in Russland, wo er einst studierte. In diesem Jahr hilft Peter Schmiedtchen wieder den Bisons. Denn so friedlich die Szene wirkt, so trügerisch ist sie. Die Bisons leben außerhalb des Yellowstone Nationalparks gefährlich.

»Von den kanadischen Indianern habe ich gelernt, im Einklang mit der Natur zu leben«, erzählt er, dem die Lakota den Namen »dem die Wölfe folgen« gegeben haben. »Ich will versuchen, wenigstens einer Art zu helfen.« Der Mann mit dem Cowboyhut aus dem Heidedorf Dolle ist in Montana einer der Freiwilligen der Buffalo Field Campaign (BFC). Er lebt im Camp in einem Bungalow, in einem Raum mit vielen anderen. Er schläft dort, kocht, wäscht ab, löffelt mit den anderen auf der Treppe die Suppe. Früh am Morgen oder in der Abenddämmerung ist er unterwegs, um die Büffel zu beschützen. Die letzten frei ziehenden Büffel Nordamerikas. Ihr Zuhause ist der Yellowstone Nationalpark. Auf der Suche nach frischem Weideland verlassen sie den schützenden Park.

»Sie benutzen die Routen ihrer Vorfahren«, weiß Peter Schmiedtchen. Doch außerhalb des Nationalparks beanspruchen die Rancher die kargen Wiesen als Weideland für ihre Rinder. Die Büffel stören. Sie übertragen die gefürchtete Brucellose, sagen die Viehzüchter, auch wenn kein einziger Fall nachgewiesen ist. Im besten Fall werden die Büffel mit Pferden, Quads und Hubschraubern zurückgetrieben in den Nationalpark. Egal, ob die wenige Tage alten Kälber mit der Herde Schritt halten können oder nicht. Immer wieder sterben Tiere bei Hetzjagden, brechen ein im Eis, verlieren den Anschluss zur Herde. Schlimmstenfalls werden sie gleich abgeschossen oder eingefangen und ins Schlachthaus verfrachtet.

»Wir wollen diese Übergriffe dokumentieren, filmen und veröffentlichen«, erklärt Peter Schmiedtchen das Anliegen der Büffelschützer. »Wir suchen keine Konfrontation mit den Ranchern, wir sind friedlich, versuchen, sie zu überzeugen, wenigstens den Kälbern Pausen zu gönnen.«

Die Buffalo Field Campaign wurde 1997 von Mike Mease, einem Umweltaktivisten, und Rosalie Little Thunder, einer Stammesältesten der Lakota Sioux, gegründet. Seitdem ziehen jedes Jahr Umweltschützer aus aller Welt ein ins Camp am Hebgen Lake.

Gemeinsam mit Goodshield Aguilar und anderen Helfern ist Peter Schmiedtchen unterwegs, um nach Büffeln außerhalb des Parks zu suchen. Goodshield ist ein Neffe von Rosalie Little Thunder, Musiker, Bisonschützer, Lakota. Die Büffel sind ihm wichtig. »Ich bin Lakota«, sagt er. »Unser Volk lebt mit und von den Büffeln. Wir essen ihr Fleisch, verwerten ihr Fell und ihre Knochen. Als die Büffel im 19. Jahrhundert fast ausgerottet wurden, hat das auch die Lakota getroffen. Das Schicksal unseres Volks ist eng mit dem der Büffel verknüpft. Wenn es keine Büffel mehr gibt, gibt es auch keine Lakota mehr im traditionellen Sinn.«

Als es dämmert, treffen sich alle Helfer vor dem Bungalow. Die Sonne steht tief, schreiende Gänse fliegen über den See. Jeden Abend lassen die Freiwilligen in dieser Runde den Tag Revue passieren. Wie viele Büffel wurden gesehen, wo sind sie unterwegs? Gab es Hetzjagden? Was wird morgen erwartet? Die Aktivitäten der Rancher werden genau beobachtet, es wird versucht, ihre Pläne zu erraten. Aufgaben werden verteilt. Noch am selben Abend ziehen Freiwillige los und stellen entlang der Hauptstraße Warnschilder auf mit der Aufschrift »Buffalo ahead«, Büffel voraus. Die Büffel stört es nicht, wenn eine Straße die Route ihrer Ahnen kreuzt. Ein Zusammenstoß mit einem Auto hat für beide Seiten schwerwiegende Folgen. Es passiert trotzdem immer wieder.

Peter Schmiedtchen stellt auch Schilder auf, geht auf Patrouille. Er ordnet sich ein im Camp, hat angefangen mit Hilfsarbeiten. Inzwischen ist Doc Peter, wie sie ihn nennen, kein Greenhorn mehr. »Aber auch noch kein erfahrener Bisonschützer«, relativiert er.

»Manchmal«, erzählt er, »erleben wir traurige Szenen.« Peter Schmiedtchen hat Hetzjagden erlebt, konnte nichts weiter machen als filmen. Ob ihm das schwer fällt? »Ja, sicher. Aber das ist unsere Aufgabe, und dabei bekommen wir auch viel Unterstützung von Einheimischen.« Ganz sachlich stellt Schmiedtchen, der sonst für eine große Firma in Leipzig im Brandschutz tätig ist, das fest. Tatsächlich zeigt uns Doc Peter immer wieder große Schilder an Grundstücken, die die Wiesen dahinter als Schutzzone für Bisons ausweisen. »In den USA können Grundstückseigentümer den Zutritt verweigern«, sagt er. »Nicht einmal der Sheriff darf das Privatland betreten, wenn der Besitzer es nicht will. Dann jagen sie die Büffel mit Hubschraubern.«

Die Unterstützung in der Bevölkerung ist groß. Viele sind wegen der Büffel hierher gezogen. Auch Dieter und Ramona Römer. Die beiden Baden-Württemberger betreiben einen Souvenirladen in West Yellowstone. Seit anderthalb Jahren leben sie in Montana. Die beiden Westernfans haben in der Greencard Lotterie gewonnen und leben ihren Traum. In ihrem Laden haben sie eine Informationsecke zur BFC eingerichtet. »Das ist uns wahnsinnig wichtig«, erklärt Dieter Römer. Auf den Tafeln sind Fotos aufgebracht von Hetzjagden, eingepferchten Büffeln mit blutigen Nasen. Auch historische Bilder mit Bergen von Schädeln toter Büffel. Die beiden deutschen Einwanderer unterstützen die Buffalo Warriors nicht nur mit dem Verteilen von Informationsmaterial. »Im Sommer wollen wir einen Mitarbeiter einstellen, und das wird jemand von der Buffalo Field Campaign sein.« Vorher muss der junge Mann aber noch eine Gefängnisstrafe absitzen. Zu der wurde er verurteilt, weil er sich vor einem Schlachthaus angekettet hatte. Er wollte einen Büffeltransporter an der Zufahrt hindern.

Peter Schmiedtchen kennt ihn. »Der junge Mann war im vorigen Jahr zum ersten Mal dabei«, erzählt er. »Er war obdachlos. Durch die BFC hat er eine Aufgabe gefunden und ist mit großem Eifer dabei.« So hilft der Schutz der Büffel auch den Menschen.

Überhaupt trifft man hier ganz unterschiedliche Menschen. Den Vietnamkriegs-Veteranen genau so wie Studenten aus Tschechien, eine Verkäuferin aus der Schweiz, einen Dokumentarfilmer aus den USA. Bärtige Waldmenschen, Naturfreunde, eine Fotografin, amerikanische Ureinwohner. Manche bleiben Wochen, andere wenige Tage. Ihr gemeinsames Ziel schweißt sie zusammen. Sie trauern, wenn sie Tiere verlieren, freuen sich über Erfolge.

Über Funk meldet das Camp, dass ein weißer Viehtransporter unterwegs ist in Richtung Idaho. Idaho ist kein gutes Land für Bisons, dort werden sie außerhalb des Parks ohne Vorwarnung abgeschossen. Die Freiwilligen steigen in die Autos. Wenig später sehen sie den Viehtransporter. Die drei Autos bleiben dahinter. Der Transporter hält; sie stoppen ebenfalls. Kurz vor der Grenze zu Idaho dreht der Transporter, sie folgen ihm bis zur Feuerwehr in West Yellowstone. »Der Fahrer hat getestet, wie viele wir sind«, erklärt Peter Schmiedtchen. »Sie wollen wissen, was wir vorhaben. Es ist ein Katz- und Mausspiel, die meiste Zeit ist es völlig unspektakulär.«

Wenig später stehen die Helfer am Rand einer Koppel. Die Rinder der Rancher sind noch nicht wieder da. Auf der Weide stehen Bisons, zupfen das frische Gras. Es ist ein Bild wie aus vergangenen Zeiten. Nur: Die Herde ist viel kleiner als wir sie aus Western kennen. Und die Koppelzäune zeugen davon, dass die Zeiten andere sind. Doch es ist das Land der Bisons. Seit Tausenden Jahren. Und hoffentlich auch in Zukunft, wünscht sich Peter Schmiedtchen. Deshalb ist er hier.

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