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- Thema Einwanderung und Integration
Wer kein Deutsch kann, fliegt raus
Mit ihrer Integrationspolitik will die Bundesregierung alles erreichen, nur nicht die Integration von Migranten
Doch beschließen wollte man auf dem Gipfel nichts, sich lediglich inhaltlich und konzeptionell austauschen. Schon im Vorfeld wurde geflucht, Migrantenvertreter beschwerten sich, weil sie erst gar nicht eingeladen wurden, so etwa der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Ayyub Axel Köhler. Von einem »Pseudo-Gipfel« war die Rede, andere lobten den Gipfel wiederum, immerhin redete man nicht nur über, sondern auch mit Migranten. Einigkeit aber was unter Integration zu verstehen sei, gibt es bis dato allerdings nicht. Der kürzliche Vorstoß von Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet (CDU), der meinte, »jede Einbürgerung ist ein Integrationserfolg«, stieß gerade bei Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) auf Kritik. Dessen Fazit: »Einbürgerung muss das Ergebnis von Integration sein und nicht etwa die Eintrittskarte dazu.«
Gefordert wird eine einseitige Anpassung
An der Debatte wird zweierlei deutlich. Einerseits hat ein Teil der Politik mittlerweile sehr wohl registriert, dass man handeln muss, wenn man anerkennen will, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Die Erkenntnis des Statistischen Bundesamtes, das jetzt erstmals eine Quote in Deutschland für Menschen mit Migrationshintergrund auswies - jeder fünfte Bürger hat einen Migrationshintergrund, das sind 15,3 Millionen - macht deutlich, dass der Gedanke von Integration nicht stecken bleibt und nicht stecken bleiben kann. Denn neue Schockwellen gab es in letzter Zeit reichlich: Der erste von der Kultusministerkonferenz (KMK) und dem Bundesbildungsministerium vorgestellte Bericht »Bildung in Deutschland« ergab, dass fast jedes zweite in Deutschland geborene Kind von Zuwanderern nicht über die notwendigen Grundkenntnisse in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften verfügt. Auch eine neue OECD-Studie unterstreicht, dass Migrantenkinder in keinem anderen Industriestaat der Welt schlechtere Zukunftschancen haben als in Deutschland. Da besteht Handlungsbedarf, das lässt sich nicht unter den Teppich kehren. Anderseits wird gerade an jener Integrationsdebatte deutlich, dass man bis heute nicht weiß, was Integration bedeutet oder es vielleicht gar nicht wissen will. Integration und Assimilation werden gänzlich verwechselt.
Um was geht es vielen konservativen Politikern? Sollen alle in diesem Lande, die länger hier leben oder hier leben wollen, die gleichen Rechte und Pflichten haben? Darum geht es ihnen nicht, darum ging es ihnen auch noch nie. Es geht vielmehr um die Anpassung an einen nationalen Standard, darum, dass jetzt erst eingebürgert wird, beim wem Integration bereits geglückt ist.
Integration setzt Bürgerrechte voraus
Man verwechselt da was. Gelungene Integration ist nicht die Voraussetzung, sie kann die Folge von Integrationsleistungen sein, die der Staat bereitstellen sollte, wenn er sich für Zuwanderung entscheidet. Das hat man bis heute verpasst. Und man hat sich auch zu wenig mit der Frage beschäftigt, wo Integration anfängt. In der Regel unterscheidet die Forschung vier Integrationsebenen: die strukturelle, kulturelle, soziale und die »identifikative« Integration. Die strukturelle Integration setzt das Vorhandensein wichtiger Bürgerrechte und das Nichtvorhandensein ethnischer Schichtung voraus. Kulturelle Integration meint hingegen die wechselseitige Annäherung oder Angleichung von Kulturen, die soziale wiederum gibt die Richtung und Intensität von sozialen Alltagskontakten zwischen Deutschen und Nichtdeutschen wieder. Und die identifikative Integration ist die Quittung für bereits erfolgreiches Integrieren, wenn sich hier lebende Migranten integriert fühlen, weil sie eben integriert sind und sich darum auch mit Deutschland im Sinne eines Zugehörigkeitsgefühles identifizieren.
Bei Integration geht es also um die Angleichung von Lebenslagen als Resultat eines beiderseitigen Prozesses, unabhängig von Herkunft. Assimilation zielt hingegen auf die einseitige Anpassung von Minderheiten an die Majorität und deren Kultur. Hier geht es um die Übernahme kultureller Standards, Muster und Werte. Und darum geht es auch bei den neusten Eckpunkten zur Einbürgerung, über die sich die Innenminister der Länder erst vor etwa zwei Monaten nach wochenlang hitzig geführten Debatten verständigt haben. Das Ergebnis: Bereits bei einer Geldstrafe von 90 statt bisher 180 Tagessätzen soll jetzt schon der Rechtsanspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft verloren gehen. Die Herabsetzung des Tagessatzes kriminalisiert hier lebende Migranten mehr als es sie integriert, wenn schon ein Verkehrsunfall genügen kann, um den Rechtsanspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren zu können.
Zusätzlich haben die Innenminister vereinbart, von Migranten Sprachtests und Einbürgerungskurse abzuverlangen. Einen einheitlichen deutschlandweiten Wissenstest nach Vorbild der Länder Hessen und Baden-Württemberg gibt es somit zwar nicht, dennoch wird die erfolgreiche Teilnahme überprüft. »Bloße Sitznachweise«, so der bayerische Innenminister Günther Beckstein, reichen da nicht aus.
Gegen eine verstärkte Sprachförderung spricht zwar nichts. Gute Deutschkenntnisse sind notwendig, denn nur wer die deutsche Sprache beherrscht, kann seine Interessen angemessen artikulieren, und nur der hat auch Zugang zum ersten Arbeitsmarkt. Entscheidend ist nun aber der Ansatz der neuen Bestimmungen: Integration wird als Vorverlagerung verstanden, so etwa in Form ausreichender Sprachkenntnisse, gelungene Integration ist die Voraussetzung für den Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit. Genau umgekehrt verhält es sich aber in der Realität: Strukturelles Einbeziehen, also das Gewähren von Bürgerrechten und der Einbezug in den Arbeitsmarkt, sind die Voraussetzungen für gelingendes Integrieren, alles andere folgt dann. Das Selbstidentifizieren als Deutsche(r) ist der Schlusspunkt, die Quittung, wenn sich Zuwanderer in der neuen Umgebung zurechtfinden, die Sprache sprechen (Kulturation), ihre rechtliche Gleichstellung und materielle Existenzgrundlagen gesichert sind (strukturelle Integration) und Kontakte zur Mehrheitsbevölkerung bestehen (soziale Integration). Kurzum: wenn sich Migranten integriert fühlen, weil sie integriert sind.
Immer weniger Einbürgerungen
Das soll nach dem Willen der großen Koalition anders herum funktionieren. Das ist hausgemachter Quatsch. Keiner identifiziert sich mit etwas, das nicht gegeben ist. Was ist nicht gegeben? Nicht-EU-Bürger haben bis heute praktisch keine politischen Rechte, sie besitzen weder das kommunale noch das allgemeine aktive und passive Wahlrecht (EU-Ausländer besitzen nur das kommunale Wahlrecht). Das betrifft 69 Prozent der 6,7 Millionen Ausländer in Deutschland, also vorwiegend die Türkischstämmigen. Auch dürfen Nicht-EU-Bürger in der Regel erst einen Job annehmen, wenn kein Deutscher oder kein anderer EU-Bürger für diese Stelle in Frage kommt. Um aber wiederum eingebürgert zu werden, soll man keine Sozialleistungen beziehen dürfen.
Die Einbürgerungszahlen sinken auch deshalb seit fünf Jahren. Im Jahre 2000 gab es noch 186 688 Einbürgerungen, 2004 erhielt ein Drittel weniger den deutschen Pass als noch vier Jahre zuvor. Obwohl im Jahr 2000 das alte Staatsangehörigkeitsrecht durch eine entsprechende Novellierung nach 87 Jahren modifiziert wurde. Das war ein Schritt in die richtige Richtung, denn erstmals kann nun per Geburt Deutsche(r) werden, wer seit dem 1. Januar 2000 hier geboren ist (das so genannte »ius soli»). Im Grunde wurden einem alten Hut aber nur neue Federn zugesteckt. Denn ein Elternteil des Kindes muss mindestens seit acht Jahren rechtmäßig in Deutschland leben, auch muss eine Niederlassungserlaubnis oder seit mindestens drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis vorliegen. Die Ansprüche verliert jedoch der, wer beispielsweise Sozialleistungen bezieht oder sich länger als ein halbes Jahr im Ausland aufhält.
Ein Teufelskreis. Und genau das wird durch die neuen Bestimmungen forciert, wenn beispielsweise Sprachkenntnisse als Voraussetzung, nicht aber als Folge von Integration gelten, wie Roland Koch es vorschwebt. Die deutsche Sprache lässt sich aber nicht einfach in einem Kurs lernen, wenn auch Kurse teils notwenig sind. Die deutsche Sprache kann vielmehr nur durch stetigen Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft gelernt werden. Kurse als Druckmittel führen dann eher dazu, dass sich die Entsprechenden zurückziehen. Und das ist das Problem. Die Soziologin Anja Steinbach hat in ihrem Buch »Soziale Distanz« die gegenwärtige Situation in der Bundesrepublik anschaulich skizziert, der Eingliederungsprozess von Zuwanderern wird zunehmend durch soziale Distanz zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten erschwert. Es folgt ein Rückzug in die eigene ethnische Community, das ist besonders bei den Türkischstämmigen zu beobachten. Denn sie erfahren die meiste Ausgrenzung, mit ihnen wird die Kluft zwischen Okzident und Orient in Verbindung gebracht, sie sind auch die größte ethnische Gruppe nach den Deutschen mit über zwei Millionen in diesem Lande und werden darum auch als die größten Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen. Langfristige Solidarität hat schließlich immer etwas mit dem Portemonnaie zu tun.
Bis heute ist das Integrationsproblem vorwiegend eines zwischen der Mehrheitsgesellschaft und Nicht-EU-Bürgern. Überall weisen türkische Migranten die schlechtesten Werte auf. Sie sprechen die deutsche Sprache im Vergleich zu anderen Migranten schlechter, sie identifizieren sich auch mit Deutschland im Vergleich zu anderen Migrantengruppen weniger, und sie haben auch vergleichsweise kaum oder nur wenig Kontakt mit Deutschen (gerade Ältere und auch Muslime), obwohl sich viele sogar mehr Kontakte zu eingeborenen Deutschen wünschen.
Hohe Arbeitslosigkeit unter Migranten
Ein solches Klima wird nicht von außen in die Bundesrepublik transportiert, es ist vielmehr hausgemacht. Jahrzehntelang versuchte man Migranten rein rechtlich zu separieren, sie durch ein dreigliedriges Schulsystem auszusieben und auch zum Fortzug zu bewegen. Erst jetzt macht man sich da ernsthafte Gedanken über Sprachkenntnisse und sonstige Integrationsprobleme. Arbeitslosigkeit gab es schließlich unter ausländischen Arbeitern zu Beginn der Anwerberverträge 1955 mit Italien faktisch nicht. Als ungelernte Arbeitskraft im industriellen Sektor unterzukommen, das war einst ein Garant für ökonomische Einbindung, heute ist es ein Exklusionskriterium, da es den industriellen Sektor so nicht mehr gibt und immer bessere Abschlüsse verlangt werden. Ein erstes Maximum an ausländischen Erwerbslosen pendelte sich erst nach der Ölpreiskrise und dem Anwerberstopp 1973 bei rund 100 000 ein. Seit den 90er Jahren stieg die Arbeitslosenzahl dann sprunghaft auf 500 000 im Jahre 1998 an.
Wird wieder alles schlechter? Die berufliche Qualifikation und der Bildungsrad ausländischer Arbeitnehmer(innen) haben sich im Vergleich zu den 70er bzw. 80er Jahren verbessert. Es reicht nur eben trotzdem nicht. Die Arbeitslosenquote von Ausländern ist mit derzeit knapp 24 Prozent doppelt so hoch wie unter Deutschen, bei den türkischen Migranten ist die Lage am schlechtesten. Und vielleicht hätte man diese Gruppe auch stärker auf dem Integrationsgipfel einplanen sollen. Muslime beispielsweise waren so gut wie gar nicht eingeladen. Vielleicht hat man sich aber auch einfach nur in der Wortwahl des Gipfels vertan - Assimilations- und Ausgrenzungstreffen wäre eine treffendere Formulierung gewesen!
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