Matjes für die Nische

Jährlich werden hierzulande eine Million Doppelfilets verzehrt - ein Teil kommt aus Emden

  • Hans-Christian Wöste, Emden
  • Lesedauer: 3 Min.
Früher gab es in Emden (Niedersachsen) drei Unternehmen, die Matjes herstellten. Heute existiert dort nur noch eine Firma, zum täglichen Fabrikverkauf kommen Fisch-Fans von weither.

Draußen herrscht Affenhitze, drinnen dampft eiskalter Fisch: Bei Fokken und Müller im ostfriesischen Emden schirmt eine dick isolierte Tür den Produktionsbereich von der sommerlichen Außenwelt ab. Besucher, die nur mit weißer Hygienekleidung und Schutzhäubchen auf dem Kopf eintreten dürfen, zucken erst einmal vor Kälte zusammen. Firmenchef Edzard Müller lassen die Temperaturen ungerührt, und auch der strenge Fischgeruch in der Matjes- und Feinkostmanufaktur stört ihn nicht: »Ich bin mit dem Matjes aufgewachsen.«

1895 hat sein Urgroßvater das Unternehmen mitgegründet, und der Urenkel blickt mit etwas Wehmut auf alte Fotos aus dieser Zeit zurück. Fast haushoch stapelten sich damals die Heringsfässer auf dem Firmengelände, dicht gedrängt lagen Fischkutter im Hafenbecken. Emden und andere Hafenstädte an Nord- und Ostsee profitierten lange vom »Silber des Meeres«, wie der wertvolle Speisefisch damals genannt wurde. Doch mit der Überfischung der Nordsee in den 1970er Jahren ging das Geschäft bergab, viele Hering verarbeitende Betriebe mussten schließen. Von drei Emder Unternehmen blieb nur Fokken und Müller übrig, die Firma suchte sich eine Nische. »Unser Geschäft ist Qualität, wir liefern keine Massenware«, sagt Müller, der mit seinem Bruder die Geschäfte leitet.

Weniger Salz als früher
Heringe werden nach dem Fang in den Monaten Mai, Juni und Juli traditionell zum Matjes veredelt. Zuerst werden sie gekehlt - die Innereien und Kiemen werden herausgenommen. Nur die Bauchspeicheldrüse bleibt drin. Danach reifen die Fische in einer Salzlake. Durch die natürlichen Wirkstoffe der Bauchspeicheldrüse verwandelt sich das Fleisch der Heringe zum zarten Matjes. Da Haltbarkeit wegen moderner Kühlmethoden heute nicht mehr das Problem ist, wird inzwischen weniger Salz eingesetzt. Die klassische Methode der Verarbeitung wird durch verschiedene Arten ergänzt. So werden die Matjes mit Raucharoma veredelt, in Öl eingelegt oder mit anderen Zutaten verfeinert. dpa/nd

 

Die Emder Matjesspezialitäten kommen in bunten Geschmacksrichtungen auf den Markt: mal mit Bärlauch, in Gurke-Dill-Aufguss, als Pfeffer-, Sherry-, Winter- und Zwiebelmatjes oder ganz traditionell geräuchert und in Öl. Der vor Norwegen gefangene junge Hering erreicht nach einer ersten Verarbeitung in den Niederlanden die ostfriesische Hafenstadt. Dort werden die schon ausgenommenen Tiere weiterverarbeitet und veredelt. Erst wird die Ware schonend aufgetaut, per Hand enthäutet, gereift, gesalzen und verpackt. Auf der Kundenliste stehen Groß- und Einzelhändler sowie Feinkostgeschäfte in ganz Deutschland. Und zum täglichen Fabrikverkauf reisen Fisch-Fans aus bis zu 300 Kilometern Entfernung an. Über Umsatzzahlen spricht Müller nur ungern, aber die 70 Angestellten des Familienbetriebs sollen jährlich bis zu 3500 Tonnen Heringslappen verarbeiten.

Regionale Anbieter wie in Emden, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern träfen den Geschmack der Verbraucher am besten, sagt Matthias Keller vom Hamburger Fisch-Informationszentrum. Doch Produkte aus Glückstadt, Stralsund oder Ostfriesland mit ihren landestypischen Geschmacksnuancen fänden nicht nur Abnehmer an der Küste.

Denn auch bundesweit kommt Matjes an: Jährlich verzehren die Verbraucher rund eine Million Doppelfilets. Die rangieren in der Statistik zwar nur als »sonstige Fischerzeugnisse« mit ganzen sieben Prozent beim Gesamtverbrauch, wobei Ostern und Weihnachten als Spitzenzeiten gelten, wie Keller sagt. Aber auch im Sommer sieht der Branchenkenner Konjunktur für den Matjes: »Das ist ein schönes, leichtes Essen. Und im Unterschied zu früher haben wir heute eine geschlossene Kühlkette - der Fisch bleibt immer frisch.« dpa/nd

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