Chance fürs zweite Ich
Jugger – Erik Klein schwingt die Kette und lobt die tolle Sportfreundschaft
nd: Haben Sie den Film »Die Jugger« mal gesehen?
Klein: Ja, aber ich finde die Produktion recht mittelmäßig, und die Handlung ist ziemlich brutal.
Und trotzdem haben Sie sich für diesen Sport entschieden.
Was wir auf dem Platz machen, ist überhaupt nicht brutal. Für Außenstehende mag das zunächst etwas heftig aussehen, aber unsere Waffen sind außen dick gepolstert. Da kann nicht mehr passieren als beim Fußball.
Zwei Teams aus fünf Spielern auf einem 20 x-40-Meter großen Platz versuchen den Jugg (ein nachgebildeter Hundeschädel) im Mal des Gegners, also in einem Loch, zu platzieren.
Den Jugg darf im Team jeweils nur ein Spieler berühren, der unbewaffnete Läufer. Der kann seinen Widerpart nach den Regeln des griechisch-römischen Ringens ausschalten. Die übrigen Spieler sind ausgerüstet mit gepolsterten Sportgeräten, den Pompfen. Das sind Stäbe unterschiedlicher Länge und pro Mannschaft eine Kette aus Plaste mit Schaumstoffball am Ende. Die Kämpfer sollen dem eigenen Läufer den Weg zum Mal bahnen und gleichzeitig Konteraktionen abwehren.
Fängt sich jemand einen Pompfentreffer ein, ist eine Auszeit fällig. Die Sperre wird gemessen in der Zeiteinheit Stein (akustisch ein Trommelschlag). Ein Stein steht für 1,5 Sekunden. Die Standardauszeit beträgt fünf Steine und nach dem Kontakt mit einer Kette drei Steine mehr. -gra
Vom Prinzip her ist Jugger eine Art Rugby, nur dass nicht um einen Ball gekämpft wird, sondern um einen Hundeschädel aus Kautschuk. Warum also Jugger und nicht Rugby?
Das war eher Zufall. Ein Freund hat mich mal zum Juggertraining mitgenommen. Dabei ist es geblieben, obwohl ich Rugby interessant finde.
Was begeistert Sie am Jugger?
Vor allem die tollen Freunde in meinem Team und in den Teams der Gegner. Nach Wettkämpfen sitzen wir abends immer zusammen, das ist eine große Gemeinschaft.
Wie passt das zu diesem Spiel, bei dem man sich aggressiv durchsetzen muss und obendrein noch mit imitierten Waffen agiert?
Die meisten können den Schalter umlegen, auf dem Platz hart vorgehen und hinterher total gechillt sein. Die wenigen Ausnahmen, die das nicht schaffen und daueraggressiv sind, die haben entsprechend Probleme, in der Community akzeptiert zu werden. Weil zu unserem Sport eine bestimmte Haltung gehört: fair beim Spiel und freundlich nach dem Match.
Wie reagieren Zuschauer, wenn Sie mit allerlei Gerätschaften, vom langen Stab bis zur Kette, aufeinander eindreschen?
Bei uns in Rethwisch sind wir mittlerweile bekannt, das ist ja auch ein Dorf mit gerade mal rund 1000 Einwohnern. Hier wundert sich also niemand mehr. Anders sieht es beispielsweise in Berlin aus, wo wir auf dem Tempelhofer Feld oft Punktspiele austragen. Viele Passanten bleiben dann stehen und schauen erst einmal irritiert. Kinder und Jugendliche sind in der Regel begeistert, während Ältere eher skeptisch sind und wohl auch bleiben.
Nervt Sie die Ablehnung, die Sie entsprechend manchmal spüren?
Das ist schon okay, jeder hat halt seine eigene Meinung. Allerdings finde ich es nicht so toll, dass einige Menschen einfach sagen, das kenne ich nicht, das ist mir zu blöd, und das will ich auch nicht kennenlernen. Deswegen hoffe ich, dass unser Sport mehr und mehr aktive Interessenten findet und die Akzeptanz dafür in der Gesellschaft zunimmt. Wie zum Beispiel in Spanien, dort gibt es inzwischen viele neue Fans.
Welchen Part übernehmen Sie auf dem Feld? Sind Sie ein Läufer, der den bereits erwähnten Hundeschädel im gegnerischen Mal platzieren muss?
Am Anfang habe ich das gemacht. Jetzt aber gehöre ich zu den Kämpfern, die versuchen, ihren Läufer zum Tor durchzubringen. Dabei setze ich dann eine, wie schon gesagt: gepolsterte Kette als meine Waffe ein.
Und was ist Ihre Taktik, die Hau-drauf-Methode?
Ohne Strategie geht das nicht. Ich versuche, Lücken in der gegnerischen Verteidigung zu finden und auszunutzen. Die anderen meines Teams greifen inzwischen vielleicht auf dem anderen Flügel an, um dem Läufer Platz für ein Umgehungsmanöver zu schaffen.
Müssen Neueinsteiger besondere Fähigkeiten für diesen Sport mitbringen?
Eigentlich kann jeder Jugger spielen. Auch Leute, die ein bisschen korpulent sind, kriegen eine Chance. Die sind nämlich oft gut mit der Kette.
Auf jeden Fall scheint Jugger ein Jungensding zu sein.
Nein, auch immer mehr Mädchen und Frauen steigen bei Jugger ein. Die machen gleichberechtigt mit, in entsprechend gemischten Teams. Und einige Frauen sind viel besser als der überwiegende Teil der männlichen Konkurrenz.
Kann die steigende Frauenquote auch das Image von Jugger verbessern?
Auf jeden Fall. Nehmen Sie doch unser Jugendteam beim VfL Rethwisch. Das besteht inzwischen zur Hälfte aus Mädchen. Und das kommt natürlich viel besser bei den neuen Zuschauern rüber, als wenn da bloß bärtige Typen auflaufen.
Was ist der größte Moment während einer Partie?
Sobald ich die gegnerische Verteidigung durchbrochen und von hinten ausschalten kann. Das ist immer wieder schön.
Neben Ihrer Juggerkarriere absolvieren Sie gerade eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Ein krasser Gegensatz: einerseits trockene Administration, andererseits schwingen Sie auf dem Sportplatz wild die Kette. Leben Sie beim Jugger Ihr zweites Ich aus?
Ich glaube schon.
Jugger beim VfL Rethwisch:
www.vfl-rethwisch.de/jugger
Jugger in Deutschland:
http://jugger.de
Nächste Turniere (weitere Infos unter http://turniere.jugger.org ):
Greifswalder Strandturnier am 23. August in 17493 Greifswald, Yachtweg 1;
Deutsche Meisterschaft 2014 mit integrierter Weltmeisterschaft am 13./14. September in 78050 Villingen-Schwenningen, Sportgelände Im Friedengrund
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