Beleidigend banal

Die Stimmen pro und kontra Neuwahlen in Berlin folgen kühlen Kalkulationen

  • Lesedauer: 3 Min.

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg tobt der Wahlkampf, oder sagen wir besser: findet der Wahlkampf statt, doch Berlin stiehlt ihnen vorübergehend die Schau: Die Ankündigung von Klaus Wowereit, im Dezember als Regierender Bürgermeister zurückzutreten, schob die Wahlkämpfer in die zweite Reihe. Natürlich wurde sofort über Konsequenzen diskutiert. Darunter die in solchen Fällen beinahe übliche Forderung nach Neuwahlen. Die LINKE ist dafür und bemühte den politischen Anstand, die Grünen sehen darin die einzig saubere Lösung. SPD und CDU, die beiden Berliner Senatsparteien, verschwenden daran keinen Gedanken und reden von einer stabilen Koalition in der Hauptstadt. Die Piraten wiederum, im Abgeordnetenhaus immer noch mit einer stattlichen Fraktion vertreten, finden, Berlin könne sich vorgezogene Wahlen nicht leisten, würden aber auch ohne Wahl für eine neue Regierungsmehrheit gemeinsam mit SPD und Linkspartei zur Verfügung stehen.

So sehr man jedes einzelne dieser Argumente respektieren oder kritisch betrachten mag, und auch wenn man anerkennt, dass die Aufgabe der Opposition nun mal die Attacke ist – am Ende folgen solche Debatten auch einer ganz anderen Logik, die fast schon beleidigend banal ist: der Logik der Umfragen. Und die besagen für Berlin, dass derzeit LINKE und Grüne deutlich besser abschneiden würden als bei der letzten Wahl. Natürlich würde man diesen Effekt gern mitnehmen, sofern er sich über einen Wahlkampf hinweg retten ließe. Und ebenso natürlich fürchten die Piraten eine Wahl, weil sie längst von ihrem Höhenflug auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt sind und jetzt wohl aus dem Parlament rausfliegen würden. Auch die SPD wäre derzeit keine Wahlgewinnerin und müsste um ihre Machtposition bangen. Und selbst die CDU hält sich aus gutem Grund zurück – sie führt zwar die Umfragen an und könnte mit Zuwachs rechnen, stünde aber allein gegen eine breite Mitte-Links-Mehrheit.

Das könnten Parteien ja sagen, aber statt dessen werden lieber allerhand mehr oder weniger bedeutungsvolle Argumente und Ersatzargumente bemüht. Die leider oft austauschbar sind – je nachdem, wer gerade regiert und opponiert. Dabei wissen die Politiker genau, dass es vorgezogene Wahlen nicht geben wird. So explosiv ist die Lage in Berlin nicht, und so angeschlagen wirkt der rot-schwarze Senat nun auch wieder nicht.

Im übrigen ist es längst üblich geworden, dass Regierungschefs, die aufs Altenteil zusteuern, ihren Zenit überschritten haben oder ihrer Partei lästig zu werden beginnen, mitten in der Legislaturperiode gehen, damit die Nachfolger sich bis zur nächsten Wahl ganz unbelastet noch einen Namen, ein paar Meriten und ein bisschen Amtsbonus erarbeiten können. Das dient dem Machterhalt der Parteien; aktuell amtieren auf dieser Basis die Ministerpräsidenten in Brandenburg und Rheinland-Pfalz. Demnächst also auch in Berlin. wh

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