Durch ein Jahrhundert, lange Sekunde Erinnerung

Zum Tod des Schriftstellers Werner Liersch

  • Klaus Walther
  • Lesedauer: 3 Min.

Vielleicht hat das alles mit dieser Kindheit am Berliner Savignyplatz begonnen, dieser Sekunde Erinnerung, die er immer wieder gesucht und beschrieben hat. Werner Liersch, geboren 1932, gehörte zu der Generation, die noch den zweiten großen Krieg des 20. Jahrhunderts ganz bewusst und wohl auch prägend erfahren haben. Die kommenden Jahrzehnte, Zeiten zwischen Untergang und Hoffnung, zwischen Aufbruch und Zerbrechen, das war Geschichte in Jahrhundert-Dimension in einem Leben.

»Vielleicht sind unsere Illusionen das Schönste an uns«, wird er einmal schreiben. Er war ein Schriftsteller mit einem hohen Anspruch an die Literatur und auch an sich. Was er auch verfasst hat - die Biografien, Feuilletons, Erzähltes (oft auch für diese Zeitung) - es sind Teile dieser Suche nach seinem Standort in der Welt, nicht nur in der literarischen. Wir haben einander ein halbes Jahrhundert gekannt. 1964 kamen wir als junge Lektoren in den Mitteldeutschen Verlag nach Halle und in die Literaturgeschichten der DDR. Damit lebten wir, dort suchte auch er seinen Platz. Er hatte mit Autoren zu tun, die ihn solche Bemühungen dankten, und mit anderen, die ihn vergaßen. So suchte er seine Arbeitsfelder auch im literarischen Leben der Vergangenheit. Er hat über Goethes Riemer geschrieben und über jene Tötung im Angesicht des Herrn Goethe, über das Dichterland Brandenburg und vor allem und immer wieder über Hans Fallada.

Seine Biografie über dieses »kleine, große Leben«, erstmals l981 erschienen und später wiederholt aufgelegt, mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet, beschreibt die Krisenlandschaft dieses Autors, sie beschreibt dabei aber Krisen, die ebenso andere Künstlerexistenz bedrohen. Sie wird wohl das Kunst-Stück bleiben, das den Biografen überlebt.

Doch vielleicht gibt es künftighin Leser, die diese Erkundungen auch in seinen essayistischen, feuilletonistischen Texten entdecken werden. Da schreibt er über den Freund und Dichter Manfred Streubel, über die abenteuerlich-traurige Biografie des Zeitgenossen Boris Djacenko - und vor allem über Brandenburg, seine Dichter und Gedichte. Er war ja ein Liebender, dem es diese fontanesche Landschaft rund um Berlin angetan hatte, in der er auch direkt und als geistiges Eigentum ein Stück Boden besaß. Sein letztes Buch, vor ein paar Wochen erst erschienen, versammelt Gedichte von Poeten unter dem Titel »Stille finden«, der nun eine zusätzliche Bedeutung erfährt.

Manchmal freilich hat er solche Leben kaum verstanden. Mit seinen Nachgängen in Erwin Strittmatters Biografie hat er Denkanstöße gegeben, aber auch viele Menschen verletzt. Aber gerade weil es so aussah, als ob Strittmatters literarische Leistung in Zweifel gezogen würde, entstand sogar ein neues Interesse an seinem Werk.

Werner Liersch war immer auch einer, der im literarischen Feld wirkte, lange Jahre als Mitglied des PEN-Präsidiums, kurze Zeit als Chefredakteur der Zeitschrift »ndl«. Oft als Förderer von nachwachsenden Schreibern und vor allem in seiner Kritik der Literatur, die er lebenslang als ironischer Stilist übte.

Dabei würde er selbst wohl nicht richtig finden, verschwiege man, was auch zu ihm gehört: Er hat es seinen Freunden manchmal nicht leicht gemacht. Er war nicht nur ein nachdenklicher, glänzender Schreiber, sondern, obwohl er dies wohl nicht sein wollte, auch ein schwieriger Mensch.

Also: Lange Sekunde Erinnerung - dieses Leben durch ein widersprüchliches Jahrhundert.

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