NATO-Speerspitze gegen Russland

Gipfel in Newport beschloss die Schaffung einer besonders schnellen Eingreiftruppe

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit der Verabschiedung eines Aktionsplans für Osteuropa ging der Gipfel der NATO am Freitag in Wales zu Ende.

Der Abschlusstag des NATO-Gipfels im walisischen Newport begann mit einer Demonstration der militärischen Stärke. Die Staats- und Regierungschefs ergötzten sich an der Flugshow von Kampfjets über dem Gelände des Luxushotels Celtic Manor, dort, wo schon seit Tagen Panzer und anderes Militärgerät der britischen Armee die Golfspieler verdrängt haben. Nicht abdrängen ließen sich am Donnerstagabend wieder Hunderte Demonstranten der Friedensbewegung in Newport und Cardiff, die gegen die Kriegspolitik des Nordatlantikpaktes protestierten. Vier Aktivisten wurden nach Angaben der BBC verhaftet.

Im Konferenzgebäude beschlossen die Mitgliedstaaten einen Aktionsplan für Osteuropa und die Schaffung einer »sehr schnell einsetzbaren Truppe«, um innerhalb von nur zwei bis drei Tagen auf Bedrohungen reagieren zu können, so NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Die 3000 bis 5000 Soldaten werden Teil der schon existierenden Nato Response Force (NRF) sein. Ausgerüstet sind sie nur mit leichtem Gepäck; Fahrzeuge, Waffen, Munition und anderes Gerät sollen in möglichen Einsatzländern gelagert werden. Mit dieser »Speerspitze« signalisiere das Bündnis vor allem, dass es einen russischen Angriff auf seine östlichen Mitglieder verhindern will. Grundsätzlich aber soll die Truppe überall auf der Welt einsetzbar sein.

Im Baltikum und in Polen war sogar eine dauerhafte Stationierung von Pakt-Truppen gefordert worden. Der Aktionsplan ist ein Kompromiss mit Ländern wie Deutschland, die an der NATO-Russland-Grundakte festhalten wollen, die einen solchen permanenten Einsatz im Osten der Allianz verbietet. Allerdings: Auch die fünf neuen NATO-Hauptquartiere in den drei baltischen Staaten sowie in Polen und Rumänien sollen ständig mit 300 bis 600 Soldaten besetzt werden. Schon jetzt hat die Allianz dort ihre Luftraumüberwachung massiv verstärkt. Geplant sind zudem vermehrte Übungen wechselnder Kampftruppen. »Unsere Präsenz im Osten wird sichtbarer«, betonte Rasmussen, dem als Generalsekretär nun der ehemalige norwegische Regierungschef Jens Stoltenberg folgt. Der nächste Gipfel soll 2016 in Polen stattfinden. Auch das wurde in Newport als politisches Signal gewertet.

Kiew sagte der Nordatlantikpakt Hilfe bei der Modernisierung der ukrainischen Armee zu, etwa bei Logistik, Kommando- und Kommunikationsstrukturen oder Cyber-Abwehr. Rasmussen zufolge sollen dafür rund 15 Millionen Euro in einen Treuhandfonds eingezahlt werden. Zur Hilfe gehören auch gemeinsame Manöver wie demnächst im Westen der Ukraine. Eine NATO-Mitgliedschaft jedoch stehe nicht auf der Tagesordnung, bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch einmal.

Gastgeber David Cameron appellierte an die Gipfelrunde, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Rüstung auszugeben, um diese Strategie finanzieren zu können. 2013 wurde das nur von den USA (4,4), Großbritannien (2,4), Griechenland (2,3) und Estland (2,0 Prozent) erreicht. Deutschland kam auf 1,3 Prozent. Nur lagen die Militärausgaben aller NATO-Staaten im Vorjahr trotzdem bei über einer Billion US-Dollar - etwa zwölf Mal mehr als Russland verpulverte.

Die Staats- und Regierungschefs der NATO haben am Freitag auch die »barbarischen und verabscheuungswürdigen« Taten der Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) einstimmig verurteilt. Bei einem Abendessen hatte der britische Premierminister Cameron zuvor die Partner aufgefordert, keine Lösegelder für Geiseln an die Islamisten zu zahlen. Das wäre »eine Gefahr für uns zu Hause«, denn man riskiere, dass dieses Geld »in Waffen, in Terrorplanungen, in weitere Entführungen« investiert werde. US-Außenminister John Kerry rief eine Koalition gegen die Terrorgruppe aus. Dieser »Kernkoalition« sollen demnach zehn Mitglieder angehören, die Kerry zum Beitritt aufforderte: neben den USA Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Polen, Kanada, Australien und die Türkei. Wie genau ihr Vorgehen aussehen könnte, ließ Kerry offen. Es gehe aber nicht um Bodentruppen.

Derweil stockt der Abschluss des letzten Kriegseinsatzes. Erneut hat die NATO in Newport die Führung in Kabul aufgefordert, die Voraussetzungen für die geplante Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte nach dem Abzug der internationalen Kampftruppen zum Jahresende zu schaffen. »Ohne Unterschrift keine Mission«, so die Botschaft von Rasmussen. Gemeint ist ein sogenanntes Sicherheitsabkommen, in dem es vor allem um den rechtlichen Status der künftig noch maximal 12 000 ausländischen Soldaten des NATO-geführten Einsatzes »Resolute Support« (»Entschlossene Unterstützung«) geht. Wegen des anhaltenden Streits um das Ergebnis der Präsidentenwahl hat die Allianz zurzeit in Kabul keinen Ansprechpartner. So musste denn auch Verteidigungsminister Bismillah Mohammadi sein Land in Wales vertreten.

Ein Oberst aus seiner Delegation hat laut Medienberichten gleich nach Ankunft Asyl in Großbritannien beantragt. Die Londoner »Times« nannte seinen Antrag »hochgradig peinlich« für den Gipfelgastgeber und die NATO, zumal so auch die ewigen Behauptungen unterminiert würden, die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich verbessert.

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