Speeddate mit Elektropop

Die Music Week und das Berlin Festival sind zu Ende

  • Marlene Göring und Celestine Hassenfratz
  • Lesedauer: 4 Min.
Das hätte böse ausgehen können. Berlin Festival ohne Tempelhof – und dann ist eins der Mottos in diesem Jahr noch »Riot here, Riot there«. Aber ausgerastet ist dann doch keiner auf der Berlin Music Week.

Die gute Nachricht: Weder Berlin Music Week noch das Berlin Festival waren eine Katastrophe. Viel diskutiert wurde schon im Vorfeld über das Konzept der Großveranstaltung und vor allem ihre Zukunft. Ganz klar ist beides nicht – die Menschen kamen trotzdem, die Stimmung war, naja, heiter bis wolkig.

Auch zu ihrem fünften Geburtstag ist die Musikwoche noch nicht ganz bei sich angekommen – und schon soll wieder alles anders werden. Das Abgeordnetenhaus hat Berlins musikalische Werkschau in andere Hände gegeben. Statt der Landesgesellschaft Kulturprojekte wird ab sofort das Music Board die Feder führen. Nicht nur wegen dem sehr kurzfristigem Umzug des Berlin Festivals vom Tempelhofer Feld auf das Gelände der Arena in Treptow machen sich Kulturfreunde also Gedanken. Ob man sich um die Musikwoche Sorgen machen muss?

Die Zahlen sagen: Nein! Klarer Gewinner ist die »Word!«-Konferenz der Music Week. 3500 Delegierte aus über 30 Ländern waren dabei, wieder sind 400 Medienvertreter gekommen - zum Networken mit Medienmenschen, Speeddating mit Verbandsvertretern und »Meet&Greets« mit den neuesten Startups. Das Konferenz-Format hat Recht behalten, obwohl es in der Vergangenheit für seine Inhalts- und Menschenleere oft kritisiert wurde.

Allein das neue Straßenmusikfestival »First we take the Streets« hat 5000 Gäste angezogen, sagen die Veranstalter. Und wieso die Bühnen des Berlin Festivals zeitweise wegen Überfüllung geschlossenen waren, ist jetzt auch klar: Seit Samstag war das Schwesterfestival der Musikwoche mit 15 000 Partyfreunden ausverkauft. Da können die Veranstalter froh sein, dass ihre Besucher die diesjährigen Slogans nicht zu wörtlich genommen haben: In farbiger Popmanier forderten dieses Jahr Plakate »Keine Nacht für Niemand« und »Riot here, Riot now«. Ob der Senat als Projektträger das wohl selbst abgesegnet hat?

Wie die auf Feiertauglichkeit abgestumpften Schlachtrufe konnte die Music Week nur in Spuren ihr politisches Potential entwickeln. Zu bequem, zu hohl seine unsere Gesellschaft, um das Kulturgut Musik als politisch zu begreifen, sagte zum Beispiel Gregor Samsa vom Ein-Mann-Label »Sounds of Subterrania« auf einem »Word!«-Panel.

Harte Worte fand auch Yello-Sänger, Konzeptkünstler und Unternehmer Dieter Meier: »Beschissen« sei es, wie Streamingdienste Musiker bezahlen. »Selbstausbeutung« sei das, was große Labels von Künstlern heute erwarteten. Gerade erobert Meier mit einem eigenen Album die Bühnen, auf dem Berlin Festival trat gab Meier eins der besten Konzerte, vertrackt und künstlerisch. Zum Beispiel, als Meier sein Gedicht »Schüfele« nur mit Begleitung von Geige und Elektro-Sounds vortrug – und damit mehr von seinem Publikum abverlangte als die meisten der gebuchten Künstler.

Hauptsächlich Djs bespielten die acht Bühnen auf dem Arena-Gelände. Die Hauptbühne aber schien fast immer irgendwie leer, egal wie viele Menschen sich statt Konsolenmusik die »echten« Konzerte von den Editors oder Woodkid anschauen kamen. Die Arena fühlte sich viel mehr nach Hangar an, als es die offenen Hallen von Tempelhof jemals gekonnt hätten. Und im Sand vorm Badeschiff sah es so aus wie an jedem Sommersamstag in Berlin: dicht gedrängte Clubmate- oder Caipitrinker wippten zu Elektro.

Da war die Stimmung rund um das Schlesische Tor während der beiden »First we take Berlin«-Abende besser. Ein ständiger Strom von Musikern und Musikliebhabern zog von einem Club in den nächsten. Viele wunderbare Bands waren da – nur hätte man hinter fast jede Band das Label »Elektro-Pop« setzen können. Es fällt schwer zu glauben, dass das alles sein soll, was neue und neueste Musik zu bieten hat. Das musikalische Einerlei auf beiden Veranstaltungen könnte daran liegen: Seit einigen Jahren wählt der Veranstalter Melt Booking jeden einzelnen Künstler der Music Week und des Festivals selbst aus. Die Macher der Showcases können sich nur bewerben.

Zumindest am Freitagabend traf die Musik nicht nur Kopf, sondern auch Herz. In den Comet Club waren gerade mal 25 Leute gekommen, um das einzige echte Rockkonzert der Music Week zu sehen: GWLT. Wie ernst die Münchner Band es meint, machte nicht nur ihr aggressiver Crossover klar. Sänger und Rapper David Mayonga verdankt die Musikwoche einen ihrer wenigen Gänsehaut-Momente: mit seinem Schreitext »Glück«, den er mit dem für mehr als 25 Ohren bestimmten Satz kulminieren ließ: »Kein Mensch ist illegal!«

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