»Kultur des Willkommens« und der Balkan

Wie stimmt Niedersachsen am 19. 9. im Bundesrat?

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Weit hatte Niedersachsens rot-grüne Koalition die Arme in Richtung Asyl suchender Menschen ausgebreitet, eine »Willkommenskultur« wurde beim Regierungswechsel Anfang 2013 in Hannover verheißen. Zu viel versprochen? Zumindest lässt das ein Interview vermuten, in dem Innenminister Boris Pistorius (SPD) gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung einräumt: Es gibt Probleme bei der Unterbringung von immer mehr Flüchtlingen im Land. Der Platz in den Unterkünften werde knapp, die Kommunen, die sich vor Ort um die Betroffenen kümmern, stöhnen unter finanziellen Lasten durch diese Aufgabe. Der Bund möge helfen, und Asylverfahren müssen schneller abgewickelt werden, wünscht sich Pistorius.

Mehrere Wünsche des Ministers in Richtung Berlin finden auch das Wohlgefallen des Niedersächsischen Flüchtlingsrates. Sein Geschäftsführer Kai Weber begrüßt beispielsweise die Forderung, das Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Interesse eines zügigen Asylverfahrens aufzustocken.

Sauer aufgestoßen dagegen ist dem Flüchtlingsrat eine Äußerung im Interview, die daran zweifeln lässt, ob auch Roma in Niedersachsen willkommen sind. Sagte doch der Minister: »Wir brauchen ferner die sichere Herkunftsstaatenregelung für Balkanstaaten wie Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien, aus denen ein großer Teil der Asylbewerber kommt.« Denn dort, so Pistorius weiter, gebe es keine politische Verfolgung. Trotzdem müssten die Anträge von Menschen aus jenen Ländern »natürlich« bearbeitet werden, und das koste Zeit und binde Personal.

Die Aussage des Ministers sei »aus menschenrechtlicher Sicht zurückzuweisen«, betont Kai Weber. Berichte von Betroffenen und von Menschenrechtsorganisationen zeugten von vielfältiger Diskriminierung der Roma in den genannten Staaten. Das stelle ja auch der Innenminister in dem aktuellen Interview nicht in Frage. Doch wolle Pistorius diese Diskriminierung nicht als politische Verfolgung gedeutet wissen, kritisiert Weber. Er verweist auf die »Qualifikationsrichtlinie«, in der die EU Kriterien zur Anerkennung von Flüchtlingen festgeschrieben hat. Danach können Diskriminierungen, wie sie Roma erleiden, als »kumulierte« Verfolgung gewertet werden. Diese müsse im Asylverfahren berücksichtigt werden.

In vielen Roma-Familien sei noch die Verfolgung durch das Hitler-Regime »in virulenter Erinnerung«, gibt Weber zu bedenken. Vor diesem Hintergrund »sollte man auch vom niedersächsischen Innenminister erwarten können, dass er mehr Sensibilität an den Tag legt und eine politische Verfolgung in den Balkanstaaten nicht einfach bestreitet«.

Am 19. September wird der Bundesrat über das Gesetzesvorhaben der schwarz-roten Bundesregierung abstimmen, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer einzustufen. Flüchtlinge von dort ließen sich dann rascher abschieben. Bislang war davon auszugehen, dass die sieben rot-grün regierten Bundesländer dies ablehnen. Auch Niedersachsen? Zweifel daran sind erlaubt angesichts der Forderung des Innenministers nach einer »sicheren Herkunftsländerregelung für Balkanstaaten«. Zumindest die Grünen aber, so Kai Weber im Gespräch mit »nd«, werden Pistorius dabei wohl nicht unterstützen. Voraussichtlich werde sich Niedersachsen der Stimme enthalten.

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