»Lassen Sie den Quatsch!«

Generaldebatte des Bundestags mit streitlustigem Gysi und bedachter Kanzlerin

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein richtiger Schlagabtausch sieht anders aus: Während Gregor Gysi ordentlich Stimmung machte, zeigte die Kanzlerin, wie man einen ganzen Plenarsaal mit einer öden Rede ruhigstellen kann.

Wenn im Bundestag über den Etat des Kanzleramts diskutiert wird, geht es oft hoch her, denn die Opposition nutzt die Debatte traditionsgemäß für eine Generalabrechnung mit der Regierung. Linksfraktionschef Gregor Gysi ließ sich denn auch nicht lange bitten. Als Vorsitzender der größten Oppositionsfraktion durfte er am Mittwoch als erster aufs Podium und zog eine kritische Bilanz des bisherigen Regierungshandelns. Insbesondere am Ziel des Bundesfinanzministers, im kommenden Jahr erstmals seit 1969 ohne neue Schulden auszukommen, übte der Oppositionsführer scharfe Kritik. »Für ein sehr zweifelhaftes Denkmal verzichten Sie auf alles, was Zukunft ausmacht.« Anstatt in Kitas, Straßen und Brücken zu investieren, halte Minister Wolfgang Schäuble (CDU) »krampfhaft« am Etatausgleich fest.

Gysi stellte das auch in Zusammenhang mit den Plänen des Wirtschaftsministeriums, die Investitionen in die Infrastruktur zu privatisieren. »Die Politik verliert dann die Zuständigkeit für Energie- und Wasserpreise.« Auch Wohnungen, Krankenhäuser und Bildung würden sich dann der Kontrolle durch die öffentliche Hand entziehen. Den anwesenden Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble fragte er halb im Scherz: »Stimmt es ernsthaft, dass sie die Bundesstraßen verkaufen wollen?« Als Gysi ankündigte, die Straße, in der Schäuble wohne, zu kaufen, erntete er viel Gelächter, auch aus der Regierungsfraktion. An die Adresse der CSU gerichtet, meinte er: »Lassen Sie den Quatsch mit der Maut!«

Eindringlich warnte Gysi vor einer »Entstaatlichung« der Bundesrepublik. Das obere Zehntel interessiere sich nicht mehr für den Staat. Ebenso wie das untere Viertel, das nicht mehr wählen gehe. »Wir müssen erreichen, dass die sich wieder am gesellschaftlichen Leben beteiligen«, so Gysi.

Schuld am Dornröschenschlaf der unteren Wählerschichten dürfte Merkels Strategie der asymmetrischen Demobilisierung sein. Durch das Besetzen von eigentlich sozialdemokratischen Politikfeldern, wie etwa dem Mindestlohn, und ihrer »Lasst das mal Mutti machen«-Attitüde, entschärft die Kanzlerin Debatten und stellt ganze Schichten ruhig.

Wie sehr sie diese Kunst des verbalen Narkotisierens beherrscht, zeigte Merkel in ihrer Rede. Während Gysi durch gezielte und meist sehr witzige Provokationen für Stimmung sorgte, wirkte der Beitrag der Kanzlerin auf alle Zuhörer wie ein Sedativum. Vor allem, weil sie die ersten zehn Minuten ihrer Rede der »digitalen Revolution« widmete, die sie mit tausendfach gehörten Floskeln beschwor. Im Plenarsaal wurde es immer ruhiger. Als Merkel dann auf ihre heikle Austeritätspolitik zu sprechen kam, war die Opposition schon sediert. Es ließen sich kaum Widerworte vernehmen.

»Damit wir unsere Ziele erreichen, wird strikte Ausgabendisziplin erforderlich sein«, so Merkel und unterstrich: »Was für Deutschland gilt, das gilt unverändert auch für Europa.« Die Situation sei nach wie vor »fragil«. Das dies auch an der von ihr durchgerückten Sparpolitik liegen könnte, ließ die Kanzlerin unerwähnt. Als die Rede auf den Null-Schulden-Bundeshalt kam, betonte Merkel: »Wir können stolz sein, dass wir gemeinsam dieses Ziel erreicht haben.«

Als Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt das Podium betrat, hatten viele Abgeordnete von Union und SPD bereits den Saal verlassen. Somit hörten sie die Warnung der Grünen nicht mehr: »Deutschland lebt von der Substanz.« Den nettoschuldenfreien Haushalt nannte Göring-Eckardt einen »PR-Gag«. Das Geld hole sich der Finanzminister bei der Kranken- und Rentenkasse und »durch unterlassene Investitionen«.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann stimmte seiner Grünen-Kollegin quasi zu. Der Investitionsstau sei ein »real existierendes Problem«. Oppermann warb aber dafür, privates Investitionskapital in die Infrastruktur zu stecken. Das sei besser, als es »in hochspekulativen Anlagen im Ausland« zu verbrennen.

Interessantes Detail am Rande: Sowohl Angela Merkel »Gesetz ist in der Ressortabstimmung«, als auch Oppermann bekannten sich ausdrücklich zur umstrittenen Pkw-Maut von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU).

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