Unterwegs zum Kalifat

Quellen und und Sponsoren der Dschihadistenorganisation

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 5 Min.
Von der Bundesregierung wird die Herkunft von IS fast so behandelt, als wäre die Terrortruppe wie vom Himmel gefallen. Dabei hat sie eine erkennbare Vergangenheit, eine vor allem westliche.

Die Gruppe »Islamischer Staat in Irak« (ISI) trat erstmals 2004 als Teil von »Al Qaida in Irak« auf, wo sie schwere Attentate verübte. Im August 2007 starben in Sindschar (Nordirak) - jetzt wieder bekannt geworden als Fluchtpunkt ethnischer und religiöser irakischer Minderheiten - mehr als 700 Menschen, mehrheitlich Jesiden, durch die Explosion von vier Autobomben. 2010 soll ein Mann mit dem Kampfnamen »Abu Bakr al-Bagdadi« die Führung von ISI übernommen haben, nachdem er 2009 aus britischer Militärhaft im Gefangenenlager Camp Bucca, Provinz Basra, entlassen worden war. Bagdadi soll aus Samarra, nördlich von Bagdad, stammen. Sein richtiger Name sol vollständig Ibrahim ibn Awwad ibn Ibrahim ibn Ali ibn Muhammad al-Badri al-Samarrai sein.

Nach 2011 zog Bagdadi mit seinen ISI-Kämpfern nach Syrien, um gegen die Führung in Damaskus zu kämpfen. Im Frühjahr 2013 benannte er seine Truppe um und rief den »Islamischen Staat in Irak und der Levante« aus. Seitdem werden die Milizen im Ausland als ISIS oder IS bezeichnet. Gleichzeitig setzte sich Bagdadi von der Nusra-Front ab, ebenfalls einer Terrortruppe, die als Anti-Regierungs-Miliz bis dahin als »Al Qaida in Syrien« eine Art Führungsposition unter den Rebellenformationen inne hatte. Nach dem IS-Sturm auf Mossul am 10. Juni rief Bagdadi ein »Islamisches Kalifat« aus und ernannte sich selbst zum Kalifen.

Wer unterstützt IS in Irak und Syrien?

In Syrien wuchs die Gruppe von Bagdadi schnell an. Zulauf kam von jungen Syrern, die von der »Freien Syrischen Armee« und anderen oppositionellen Kampfverbänden enttäuscht waren. Selbst Kämpfer der Nusra-Front liefen über.

Nach Ansicht führender Vertreter der syrischen oppositionellen »Nationalen Koalition« ist IS eine Schöpfung des syrischen Geheimdienstes. Der Oppositionelle Michel Kilo erklärte im Januar am Rande der Genfer Gespräche, seiner Gruppe lägen Fotos vor, die den syrischen Präsidenten mit ehemaligen Geheimdienstangehörigen zeigten, die heute »Emire von IS« seien. Diese Meinung vertritt auch der französische Präsident François Hollande, der kürzlich eine Allianz mit Damaskus im Kampf gegen IS ausschloss, weil Staatschef Baschar al-Assad de facto ein »Verbündeter der Gotteskrieger« sei.

In Irak erhielt die Bagdadi-Gruppe nach ihrer Gründung 2004 Unterstützung von westirakischen Stämmen, Angehörigen der aufgelösten irakischen Armee und der einstigen Staats- und nun verbotenen Baath-Partei. Im Laufe der Jahre stießen angeworbene Muslime aus Nordafrika, vor allem Algerien, Libyen und Tunesien sowie palästinensischen Flüchtlingslagern in Syrien hinzu, denen vom syrischen Geheimdienst der Transit ermöglicht wurde. In jüngster Vergangenheit trugen die wachsende Unzufriedenheit in Irak mit Regierungschef Nuri al-Maliki sowie eine gewisse religiöse Mobilisierung zum Zulauf für IS bei.

Lokale Unterstützung erhält die Gruppe von Beduinen, die als Grenzgänger häufig mit allen Seiten Geschäfte machen. In den wenig bewohnten Wüstengebieten im irakisch-syrischen Grenzgebiet erkauft oder erpresst sich IS die Unterstützung von den dort lebenden Stämmen. Wer sich unterwirft, kann von der Plünderung der syrischen Ölfelder profitieren. Wer sich widersetzt, läuft Gefahr, ermordet zu werden. Junge Männer von Stammesverbänden schließen sich den Truppen Bagdadis aber auch freiwillig an und werden zu Akteuren eines Kampfes, der international große Aufmerksamkeit erhält. Durch professionelle Public Relation, die in vielen Sprachen über das Internet und die »sozialen Medien« Twitter und YouTube verbreitet wird, wurde die Bagdadi-Gruppe innerhalb kürzester Zeit weltweit bekannt. Junge Muslime aus mehr als 80 Staaten zogen nach Irak/Syrien, um sich anzuschließen. Die meisten ausländischen Kämpfer kommen aus arabischen Staaten. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt. Die Schätzungen fallen sehr unterschiedlich aus und schwanken zwischen 15 000 und 30 000.

Wie finanziert sich IS?

Bis heute wird die Gruppe - wie andere Kampfverbände auch - finanziell von »Geschäftsleuten aus den Golfstaaten« und »Hilfsorganisationen« unterstützt, die Geld und Hilfsgüter sammeln. Die meisten Zuwendungen kamen von religiösen Stiftungen der Golfmonarchien. Eine weitere Einnahmequelle ist das Geschäft mit Geiseln, ausländischen wie syrischen. Bei der Einnahme Mossuls soll Bagdadi zudem in den Banken gewaltige Mengen Bargeld erbeutet haben.

Die Gebiete, in denen Bagdadi Krieg führt, sind für Irak bzw. Syrien von wirtschaftlicher Bedeutung. Entlang des Euphrats befinden sich fruchtbare Ländereien mit Getreide- und Baumwollanbau, nicht zuletzt die syrischen Ölfelder. Viel Geld nimmt die Bagdadi-Gruppe auch durch die Plünderung von Ausgrabungsstätten, Kirchen und Museen ein. Der Londoner »Guardian« berichtete kürzlich, dass die Bagdadi-Gruppe internationalen Kunstdieben das Gelände überlässt und von diesen bis zu 20 Prozent »Plünderungssteuer« eintreibt.

Woher kommen die Waffen; wer hat sie einst wem geliefert?

Verglichen mit den Anfangsjahren in Irak ist die militärische Ausrüstung von IS sehr viel besser geworden. Die Gruppe profitierte zwischen 2011 und 2013 von Waffenlieferungen verschiedener Staaten, die sich in der Gruppe der »Freunde Syriens« zusammengeschlossen hatten, um Assad zu stürzen. Die britische Organisation Conflict Armament Research berichtete kürzlich, dass bei Waffenfunden in eroberten IS-Stellungen »bedeutende Mengen« von Kleinwaffen US-amerikanischer Herstellung gefunden wurden. Die »New York Times« veröffentlichte voriges Jahr eine Langzeitrecherche über Waffenlieferungen aus Katar, Saudi-Arabien, Kroatien und Jordanien an die Milizen in Syrien. Geliefert wurde über die Grenzen Jordaniens und der Türkei.

Zusätzlich bewaffnete die Bagdadi-Gruppe sich durch Angriffe auf andere Milizen wie Al-Nusra oder die inzwischen praktisch zerriebene Freie Syrische Armee. Große Mengen an Waffen US-amerikanischer Herkunft fielen IS auch beim Sturm auf Mossul im Juni in die Hände.

Welche Herkunftsstaaten unternehmen etwas dagegen?

In Saudi-Arabien wurde Anfang des Jahres auf Druck der US-Administration Geheimdienstchef Bandar Bin Sultan mittels eines königlichen Dekrets aus dem Amt entfernt. Er sei zuständig gewesen für »die syrische Akte« und hatte von Anfang an, also seit 2011, »nachhaltig« für die Finanzierung der Kampfverbände in Syrien gesorgt. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate verschärften im Januar die Gesetzgebung und stellten die Teilnahme am »Heiligen Krieg« in einem anderen Land unter schwere Strafe. Anfang August verhängte die US-Administration Sanktionen gegen drei Geschäftsleute aus Kuwait, die nachweislich Geld für die Nusra-Front und die Bagdadi-Gruppe organisiert hatten. Kuwait verbot daraufhin das Spendensammeln für Syrien.

Der UN-Sicherheitsrat beschloss am 15. August einstimmig die Resolution 2170, in der alle UN-Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, »den Strom fremder Kämpfer, die Finanzierung und anderweitige Unterstützung für islamistische extremistische Gruppen in Irak und Syrien zu unterbinden«.

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